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11. September 2010 · 12 KommentareDas Brot des Geologen (III) – Kissenlava
Mein explosiver Backunfall bei Manfreds Weizenbrot hat mich an eine geologische Struktur erinnert, die sich Kissenlava oder Pillowlava nennt. Wie der Name schon verrät, sieht sie aus wie ein Kissen, ist also rundlich bis länglich. Sie entsteht beim Austritt von heißer (meist basaltischer) Lava unter der Wasseroberfläche. Durch die extrem schnelle Abkühlung der Lava im Kontakt zum Wasser bildet sich eine glasige Kruste, die durch den Druck der glutflüssigen Lava dahinter rundlich verformt wird. Ist der Druck zu groß, reißt die Kruste an ihrer schwächsten Stelle auf und der nächste Schwall Lava ergießt sich ins Wasser, um in wenigen Sekunden ein neues „Kissen“ zu bilden.
Das folgende Video veranschaulicht den Prozess (besonders von Minute 1:16 bis 1:45)
Wo ist nun die Analogie zu meinem Brot? Noch bevor der Teig seine fast vollständige Gare erreicht hatte, habe ich ihn bereits in den Backofen gepackt. Dort hatte er noch so viel Potential zum Ofentrieb, dass die Außenhaut des Teiges weit vor Ende der Volumenvergrößerung verkrustet war. Ab diesem Punkt konnte man vergleichbare Phänomene im Ofen beobachten, wie bei der Bildung von Kissenlava im Meer. Die Brotform änderte sich durch den steigenden Druck hin zu einer kugelähnlichen Gestalt. Als auch dadurch der Druck nicht abzubauen war, riss die Kruste an der schwächsten Stelle ein und der noch zähflüssige Teig konnte nach außen quellen. Sehr interessant zu sehen war auch, dass die zuerst ausgetretenen Partien verkrusteten und dadurch dem nachfolgenden Teig eine Richtung aufzwangen, die zur Rotation geführt hat.

Aus dem Laib herausgepresstes kissenförmiges Gebilde. Die Pfeile markieren die Ausdrückrichtung.

Das Brot konnte dem internen Druck nicht mehr standhalten und riss auf. An dieser Stelle wurde der noch zähflüssige Teig ausgedrückt und dabei rotiert.

Ein komplexer Vorgang: mehrere Krustengenerationen, die immer wieder aufgebrochen wurden. Genauso bei Kissenlava: sobald die Lava in Kontakt mit Wasser kommt, bildet sich eine dünne Kruste, die durch die nachströmende Lava immer wieder aufgebrochen wird.
Analog funktioniert das mit Lava unter Wasser. Der größte Unterschied zum Brot ist die Gemeinsamkeit: der Temperaturunterschied. Die Lava ist heißer als das umgebende Wasser und bildet die Kruste durch Abschreckungsreaktionen. Das Teiginnere des Brotes ist kälter als die heiße Luft im Backofen und bildet die Kruste durch Wasserentzug, Umwandlung von Stärke und Zucker.
Brot kann ich essen und ich weiß, dass es mal in einem Ofen gesteckt hat. Was aber bringt es mir zu wissen, was Kissenlava ist? Für Geologen ist Kissenlava ein „Schlüsselerlebnis“. Sie bildet sich ausschließlich unter Wasser, meist auf ozeanischer Kruste an mittelozeanischen Rücken. Sie ist damit Teil neu entstehender Erdkruste, die unter Umständen in vielen Millionen Jahren an einem aktiven Plattenrand unter eine Erdplatte geschoben, subduziert, werden wird. Wenn sie jedoch Glück hat, wird ein Teil von ihr „abgeraspelt“ und an die überlagernde, „raspelnde“ Platte angelagert. Solche Splitter ozeanischer Kruste, die wir heute in vielen Teilen der kontinentalen Kruste entdecken können, werden „Ophiolithe“ genannt und sind nicht immer einfach zu identifizieren. Blick einen Geologen jedoch mitten auf dem Festland Kissenlava an, kann er sich sicher sein, auf ehemaligem Meeresgrund zu stehen. Kissenlava ist also ein bedeutender Hinweis auf große tektonische Vorgänge in der Erdgeschichte, die der Geologe rekonstruiert.

Blick ins Innere eines erstarrten Lavakissens. Typisch ist der konzentrische Aufbau, der hier durch mit Mineralen gefüllte Blasen nachgezogen wird. Die Blasen sind entsprechen den Poren im Brot und waren bei ihrer Bildung mit heißen Gasen gefüllt.

Blick in die Vergangenheit: mehrere 100 Millionen Jahre alte Kissen-Basalte. Einst tief im Ozean gebildet, heute mitten in Thüringen an der Erdoberfläche. Bildhöhe ca. 3-4 m.

Gleiche Lavazusammensetzung, andere Form: der untere Bereich ist erstarrte Kissenlava, die also unter der Meeresoberfläche ausgeflossen ist. Der obere Bereich ist an der Luft erstarrt. Foto aufgenommen in Aci Castello, Sizilien.
Aktualisiert am 29. Dezember 2013 |
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[…] possibility is bread. Here, in German (but with lots of pretty pictures) is a post from Lutz Geissler that basically argues that bread loaves mimic the shape of lava pillows. (Lutz usually blogs at Geoberg.de, for those who don’t […]
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[…] Hier die Anleitung dazu […]
Martina
19. Februar 2020 um 21:51
Wie lustig… nachdem ich schon jahrelang mit Ihren Büchern backe, schreibe ich gerade in Schulbuch über Vulkane. Und bei der Bildsuche zu Kissenlava sind Sie mir wieder begegnet – was für eine nette Idee mit dem Brot 😉
Lutz
21. Februar 2020 um 12:33
Mit Analogien lernt es sich deutlich einfacher :).
Chris
4. April 2017 um 23:12
Auch, wenn dein Beitrag schon etwas älter ist und ich es jetzt erst entdeckt habt. Meinen Respekt für den guten Einfall aber vor allem der lustigen Umsetzung mit den Fotos! 🙂
Chris.
Katha
16. Oktober 2013 um 22:32
Ein super Beitrag, sehr amüsant und interessant!! Ich finde im Übrigen dass das Brot trotzdem hervorragend aussieht, ich werde mich jetzt (dank dieses Blogs) auch mal ans Brotbacken wagen. Vielleicht fange ich aber auch erst einmal mit Flammkuchen an… Der kann wenigstens nicht aus der Kruste platzen!
Felix Bossert
31. Januar 2011 um 22:18
Sehr schön, endlich habe ich das mit der Pillow Lava begriffen!
Wo findet man die Kissen-Basalte in Thüringen?
Lutz
1. Februar 2011 um 14:25
Das müsste im Diabasbruch Kahlleite sein.
Felix Bossert
1. Februar 2011 um 19:43
Danke
Callan Bentley
10. Januar 2011 um 17:19
Awesome!