BLOGBEITRAG
8. Mai 2014 · 14 KommentareGastartikel: Brotbacken in einer kolumbianischen Schule
Hin und wieder erreichen mich Nachrichten aus fernen Gegenden, sei es Brasilien, Chile, Australien, Tunesien oder Kolumbien. Auch dort wird Brot nach Plötzblog-Rezepten gebacken. Ein besonders tolles und erzählenswertes Beispiel hat mir Adrian Fuhrmann geschickt. Er betreibt mit dem Backen von Brot quasi Entwicklungshilfe im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres. Nachfolgend Adrians Gastbeitrag. Seine Erlebnisse hält er in einem eigenen Blog fest.
Liebe Bäcker- und Hobbybäckergemeinde,
ich bin Adrian, 19 Jahre alt, gerade mit der Schule fertig und lebe seit Anfang August 2013 im Rahmen meines freiwilligen sozialen Jahres in Kolumbien. Meine Hauptaufgabe ist es, Englischunterricht für jede Altersstufe an einer kleinen Schule in der Stadt Cali zu geben.
Jetzt werden sich einige Leser fragen: „Das ist ja alles schön und gut, aber wie kommt dieser Junge Mann dazu, einen Gastbeitrag ausgerechnet für den Plötzblog zu schreiben?“ Tatsache ist, dass ich die Möglichkeit habe, mich an einem Tag der Woche dem gemeinsamen Brotbacken mit den Jugendlichen zu widmen. Man kann sich das Ganze wie eine Art Wahlpflichtunterricht mit kleinen Schülergruppen vorstellen. Schon zu Zeiten, als ich noch in Deutschland zur Schule ging faszinierte mich die Kunst des Brotbackens und so dauerte es natürlich nicht lange, bis ich auf den Plötzblog stieß. Mit der Zeit probierte ich nacheinander die extrem gelingsicheren Rezepte des Blogs aus und vermehrte somit im gleichen Zuge meine Erfahrung und meine Liebe zum Backen. Als ich mich nun für das freiwillige soziale Jahr in Kolumbien bewarb, erwähnte ich gegenüber meiner jetzigen Entsendeorganisation „Aguablanca e.V.“ auch, dass ich Brotbacken als eines meiner Hobbies ansehe. Zu meiner Freude wurde ich angenommen und bekam unter anderem sofort den Auftrag, einen in der Schule vorhandenen Bäckerofen wieder zu „befeuern“ und mit ernährungstechnisch wertvollem Brot zu füttern. „Was für eine spannende und gleichzeitg fordernde Aufgabe“, dachte ich mir,“ du weißt schließlich vorher nie, welche Situation dich dann dort in einer kleinen Bildungseinrichtung mitten im Armenviertel der kolumbianischen Dreimillionenstadt Cali wirklich erwartet….
….Angekommen in Kolumbien, angekommen in der Schule, wurde mir von Anfang an jedoch sehr viel Vertrauen entgegen gebracht und so durfte ich sehr bald schon den Brotbackunterricht in die eigene Hand nehmen und mit großer Freiheit die Planung organisieren. Wobei Lutz mir tatkräftig und ohne Umschweife dabei half, die Rezepte an die hier anzutreffenden Herausforderungen, wie z.B. die Hitze (im Durchschnitt 30 Grad Celsius) und den Stundenplan der Schüler anzupassen, indem er mir in Windeseile immer wieder detaillierte Antworten und Ratschläge schickte. Vielen Dank nochmal an dieser Stelle.

Eine typisch kolumbianische Bäckerei-Auslage: Weizengebäcke mit viel Zucker.

Weizen, Weizen, Weizen
Natürlich ist Brotbacken in Deutschland in jeder Hinsicht ungleich Brotbacken in Kolumbien. Das merkt man schon, wenn man hier eine „sogenannte Bäckerei“ besucht. Ersteinmal ist das Sortiment in 90% der kolumbianischen Panaderías fast identisch. Es steht hauptsächlich Weißbrot zum Verkauf, welches immer recht viel Zucker, Butter und oft Käsestücken beeinhaltet. Wenn man den Blick weiter über die Ladentheke schweifen lässt, so fallen die vielen süßen, sehr oft auch frittierten Blätter- und Plunderteiggebäcke auf, gefolgt von den Maisküchlein und den Panes de Yuca. Letztere sind rund, aufgebläht, werden aus Maniokmehl bzw.Maniokstärke und Käse hergestellt und erreichen dabei eine extrem trocken-luftige Konsistenz. Die meisten Bäckereien verkaufen außerdem Kekse, Torten, Frikadellen, Fleischtaschen, Milchprodukte… Da Kolumbien jedoch noch nicht wie Deutschland von großen Bäckereiketten überschwemmt ist, werden die Backartikel in einer überwältigenden Mehrzahl der Fälle, noch an dem Ort zusammengeknetet, wo sie auch verkauft werden… Ganz hinten, unten, in der letzten Ecke der Brotauslage, entdeckt man dann etwas, das sich Pan Integral nennt und ungefähr so schmeckt, wie leicht süßliches Vollkorntoastbrot. Es wird aus der Harina Integral hergestellt, welche vollwertiger als das normale Mehl (Type 405 -505) sein soll, allerdings in keinster Weise mit dem deutschen Vollkornmehl zu vergleichen ist. Dieses Pan Integral ist gleichzeitig relativ verpöhnt, wird hauptsächlich gemieden und meistens nur als eine Art „saurer Apfel“ angesehen, in den gebissen werden muss, wenn die Waage ächzt…Als wir das erste Mal mit besagtem „Vollkornmehl“ buken, merkte einer meiner Lehrlinge an, dass er nur einmal in seinem Leben das Pan Integral probiert und aus Ekel sofort wieder ausgespuckt habe… Dies wären dann auch schon die einzigen beiden Weizenmehltypen, die hier unterschieden werden. Wenn man in den Supermarkt geht, trifft man in der Getreideabteilung wohl schon eher eine gewaltige Artenvielfalt von Maismehlen und Maniokmehl an.

Blick in die Schulbackstube.
Nach einem halben Jahr der Odyssee, unendlichem Nachfragen und vielen verwundert dreinschauenden Gesichtern, konnte ich schließlich ein Spezialgeschäft ausfindig machen, welches zu bestimmten Zeiten auch Roggenmehl verkauft.
Nach dieser Entdeckung startete ich sofort den Versuch, Lutz‘ Vinschgauer nachzubacken. Wundersamerweise kam das Endprodukt dem deutschen Original relativ ähnlich. Dabei darf man nicht vergessen, dass für die die typischen Vinschgauer ein triebfähiger Sauerteig absolut von Nöten ist. Tatsächlich versuchte ich mich seit dem Betreten kolumbianischen Bodens daran, meine eigene Sauerteigkultur anzusetzen. Da der natürlich fermentierte Teig hier fast vollkommen unbekannt ist und selbst, aus dem Kreis der Eigeweihten niemand in der Lage zu sein schien, mir Auskunft über einen möglichen Aufenthaltsort dieser wundersamen Substanz, die einige „Masa Madre“ und andere „Masa Agria“ nennen, zu erteilen , blieb mir nichts anderes übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Hitze, gechlortes Wasser, Ameisen, schlechte Mehlqualität und andere, ungeahnte Schwierigkeiten stellten sich mir in den Weg, bis ich es nach mehreren, extrem entmutigenden Fehlschlägen schließlich schaffte, einen lebensfrohen Weizensauerteig herzustellen, der zwar ein bisschen anders riecht, als in Deutschland, jedoch die restlichen, notwendigen Charistika besitzt. Schließlich konnten wir in der Schule nun sogar schon mehrere Brote mit einem versauerten Vorteig backen, auch wenn sich die Nasen der jungen Bäcker bis jetzt noch nicht so wirklich an den Geruch der fermentierten Masse gewöhnen wollten.

Erst einen Wall aus Mehl errichten…

… dann den reifen Sauerteig dazu geben.
Trotzdem sind alle Schüler immer wieder mit größtem Eifer dabei, wenn es wieder heißt Hefezöpfe, Baguettes und vor allem verschiedene Vollkornbrote zu kneten, zu formen, zu backen und schließlich vollkommen neue Geschmacksrichtungen zu erfahren. Fast alle Kinder setzen sich zum ersten Mal in ihrem Leben damit auseinander, wie Brot eigentlich hergestellt wird. Wer hätte gedacht, dass es im Grunde nicht mehr als Wasser, Salz, Mehl und ein wenig Geduld bedarf, um daraus sein eigenes Nahrungsmittel herzustellen, dass sogar schmeckt und dabei noch gesund ist. Einige Schüler erzählen von ihren Backversuchen, die unter einfachsten Bedingungen stattfinden und lassen sich von „flachgebliebenen“ und „unten verbrannten“ Endprodukten nicht erschüttern. Natürlich gehören auch Missverständnisse zum täglich Brot des Unterrichtens. So wurde der Autolyseteig in einer kurzen Phase meiner Abwesenheit fertiggeknetet und darauf gewartet, dass er endlich aufgeht.

Viele Hände kneten den Teig.
Die ersten Brote wurden von den neugierigen Gutachtern vor dem Probieren natürlich ersteinmal als verbrannt und viel zu hart, als zum Verzehr geeignet, deklariert.
Am Ende des Backtages siegen jedoch immer wieder nicht nur Geschmack und Geruch, sondern auch das Wissen darum und der Stolz, den Herstellungsprozess des finalen Werkes mitgetragen zu haben. Insgesamt kann man sagen, dass deutsches Brot ein sehr hohes Ansehen genießt und immer als Mitbringsel bzw. Geschenk auf gewaltige Resonanz trifft… und nicht selten sieht man dann nach einigem Augenreiben, wenn man das große Glück haben sollte, eine Spezialbäckerei aufzufinden, die „echtes, dunkles Vollkornbrot“ verkauft, das seinen deutschen Verwandten ziemlich nahe kommt, dass dort unterhalb des Preises Termini wie „Schwarzbrot“, „Berliner Brot“ oder einfach nur „Brot“ angegeben sind.

Zöpfe flechten.

Fertige Hefezöpfe.

Präsidentenbaguettes in Kolumbien.

Rosinenbrote
Saludos aus Cali
PS: Ich sehe mich jetzt schon in Deutschland, von einem fragenden Gesicht zum nächsten hangeln, nur für den einen goldenen Hinweis, der mir Zugang zu den verführerisch leckeren „Pan de Bonos“, „Almojabanas“, „Pan Quesos“, „Arepas“ ,“Pan de Yucas“ … oder zumindest zu deren „exotischen Ingredienzen“ verschaffen kann.
Wer seine Quellen angibt, schätzt die Arbeit Anderer wert. Ich habe in diesen Blog über zehn Jahre lang eine Menge Zeit, Kraft und Geist investiert und tue es immer noch. Deshalb bitte ich dich, bei jeder öffentlichen Nutzung meiner Ideen, Rezepte und Texte immer die konkrete Quelle anzugeben. Willst du auf dem Laufenden bleiben, dann abonniere gern meinen kostenlosen Newsletter. Möchtest du meine Arbeit am Blog unterstützen, dann freue ich mich auf DEINE HILFE.
Aktualisiert am 8. Mai 2014 |
Neiss Julia
7. August 2019 um 18:08
Hallo Adrian,
voller Freude hab ich dein Bericht gelesen. Ich finde es so toll welchen Einsatz du einbringst. Eine spannende Geschichte… ich bin gespannt welches Projekt dein nächstes sein wird!
Viele Grüße Julia
Volkmar Bannenberg
24. April 2017 um 23:59
Hallo Adrain
Ich lebe in Kolumbien Cali und bin Deutscher.
Ich suche schon seit 3 Jahren Roggenmehl in Cali zu Kaufen.
In deinem Blogbeitrag hast du erwähnt das du in einem Spezialgeschäft Roggenmehl gekauft hast, wo ist dieses Spezialgeschäft in Cali?.
Wäre nett wenn du mir mal die Adresse per Email senden kannst.
LG aus Cali
Adrian
8. Mai 2017 um 21:51
Hallo Volkmar,
leider kann ich deine Mailadresse nicht sehen.
Der Laden heißt Tienda Pan, meine ich (oder der Laden daneben), bei der Galería la Alameda. Sie haben dort nur manchmal Roggenmehl- du musst nachfragen.
Hier ist der google-maps -Link: https://goo.gl/maps/CYXeQ18KzEs
Adrian
11. Dezember 2016 um 12:51
Hallo Uschi,
es tut mir leid, dass ich jetzt erst deinen Kommentar sehe und beantworte.
Ich würde die Arepas aus dem Mais-Mehl P.A.N. (gelbe Verpackung) machen, die es in jedem Asia-Laden gibt. Du nimmst einfach doppelt so viel Wasser (70 Grad) wie Mehl und vermengst sie mit 2% Salz (bezogen auf die Mehlmenge). Nach einer kurzen Quellphase (15 min) kannst du die Arepas formen und auf dem Grill/Ofen/ Pfanne braun rösten. Mit etwas geriebenem italienischen Hartkäse im Teig kann man den Geschmack noch verfeinern.
Uschi Weber
13. November 2015 um 13:59
Lieber Adrian,
leider bin ich erst heute auf deinen tollen Bericht gestoßen.
Hoffentlich hattest du nicht all zu viele fragende Gesichter erlösen müssen, denn
mich würde wirklich sehr interessieren ob du ein Arepas Rezept zur Verfügung stellen könntest?
Ich habe schon zahlreiche Versuche leider vergeblich unternommen.
Die dazugehörige Avocado-Creme kann man geschmacklich sicherlich gut herstellen aber an einer krossen, leckeren Teig-Tasche bin ich bisher gescheitert. Backofen oder frittieren
– ich würde es wirklich sehr gerne von dir erfahren.
Im Voraus vielen Dank
Uschi
Patty
11. Mai 2014 um 14:13
Lieber Adrian,
es gibt eine Deutsche Frau in „la 14 (Supermarkt) von la Avenida Sexta“ in Cali, Sie verkauft Deutsches Brot, Sie kann vielleicht sagen wo Sie die Zutaten kriegt.
PASTELERÍA ALEMANA GOURMET
La 14 Av. 6a.
(2) 6534373
Dann gibt es
Die PASTELERÍAEUROPEA:
[email protected]
Carrera 70 # 10 bis – 116
Handy: 092 524 0324
Festnetz: (2) 315-8424
Liebe Grüße
Patty
Adrian
22. Mai 2014 um 14:22
Hallo Patty,
Vielen Dank erstmal fuer den Hinweis!
Du scheinst dich ja echt gut in Cali auszukennen, wie kommt’s?
Die Pasteleria Alemana in der 14 kenne ich schon… die ist echt ziemlich gut, allerdings habe ich schon dort nachgefragt, aber die scheinen sich eher auf Kuchen und so weiter spezialisiert zu haben…
Ich werde mich jetzt mal auf die Suche nach der Pasteleria europa machen, jedoch sah das auf der Internetseite auch eher nach Torten aus.
Vielen Dank nochmal!
Gruesse
Adrian
Juli
10. Mai 2014 um 05:01
Hallo Adrian, ich finde das super, dass Du mit so viel Energie bei der Sache bist und Dich auch von Rückschlägen nicht beeindrucken lässt. Es war sicher nicht einfach, den Sauerteig in einer so anderen Umgebung herzustellen. Wir backen zumindest auf unseren Reisen selbst, weil wir nach ein paar Tagen das lappige Brot nicht mehr sehen können. Und dabei ist mir auch schon so einiges passiert… Ich denke, dass Du den Kindern sehr wertvolle Erfahrungen mitgeben kannst. Weiter so!
Viel Spaß noch und viele Grüße,
Juli
Adrian
22. Mai 2014 um 14:25
Vielen Dank, Juli!
Wie sehen denn eure Reisen aus?
Wo geht’s hin und wie lange seit ihr weg?
Ich nehme an, es ist nicht immer leicht, die Zutaten zu finden, oder nehmt ihr immer alles mit?
Gruesse
Adrian
Lucas
8. Mai 2014 um 22:18
Estoy tan orgulloso de ti hermano!
Kamau
8. Mai 2014 um 14:20
Hey Adrian!!! ich kann deinen Einsatz auch nur bewundern!! Ich finde das toll was Du da hinbekommen hast 🙂 Weiter so!!! Viele liebe Grüße Julia
Adrian
22. Mai 2014 um 14:29
Danke Kamau,
deine Bilder aus Marokko sehen echt gut aus.
Ein bisschen erinnert mich das auch hier an Kolumbien!
Gruesse
Adrian
Sugarprincess Yushka
8. Mai 2014 um 11:11
Lieber Adrian! Ein beeindruckendes Engagement zeigst du da! Danke für diesen interessanten Einblick ins kolumbianische Brot Backen.
Ich werde meinen Kindern von dir und deinem Projekt erzählen – du bist wirklich ein außergewöhnlicher junger Mann.
Liebe Grüße,
Yushka
Adrian
22. Mai 2014 um 14:30
Vielen Dank fuer die Unterstuetzung, Yushka!