Was ist „gutes“ Brot?

Mein Anspruch an ein gutes Brot ist nicht nur sein Geschmack oder sein Äußeres. Auch auf die inneren Werte kommt es an. Das Gesamtpaket muss stimmen. Und damit ist es mit dem Brot nicht anders als mit uns Menschen.

Ein gutes Brot lebt von der Philosophie seines Bäckers. Egal ob Großbäckerei, Dorfbäcker oder Hobbybäcker; wenn Begeisterung für die höchst mögliche Qualität aufgebracht wird, ist der Weg zu einem guten Brot nicht weit. Das handwerkliche Können spielt eine große Rolle. Daneben aber auch Punkte, die davor ansetzen.

Dazu zählen für mich unter anderem:

  • der Einsatz natürlicher Zutaten (Zutaten, die ich auch selbst zuhause herstellen könnte bzw. deren Herstellung auf natürlichen Prozessen beruht)
  • der Verzicht auf Zusatzstoffe (isolierte/synthetisierte Substanzen, wie z.B. technische/exogene/funktionelle Enzyme, Emulgatoren, Verdickungsmittel, Geschmacksverstärker, Aromen)
  • der Einsatz von naturbelassenem, ursprünglich aus einer Spontangärung erzeugtem Sauerteig (der Verzicht auf Teigsäuerungsmittel und auf Reinzuchtkulturen)
  • der Einsatz von weiteren Vorstufen (Vorteige, Quell-/Brüh-/Kochstücke)
  • die Verwendung von möglichst wenig Hefe (in der Regel < 1 % für Brot und Kleingebäck sowie < 2,5 – 3 % bei Feingebäck)
  • der Einsatz von Langzeitführungen für Teige (in der Regel > 8 Stunden, besser > 12 Stunden Gesamtreife inkl. Vorstufen)


Wenig Hefe gleich gute Verträglichkeit

All diese Punkte sorgen für ein äußerst geschmackvolles, bekömmliches, lang haltbares und lang frischbleibendes Brot. „Erkauft“ wird sich das durch scheinbar komplexere Rezepte mit teils vielen Schritten. Wer es einmal getan und langsam eine Routine entwickelt hat, wird merken, dass der Aufwand sich dennoch in Grenzen hält, sich dafür zum Dank aber eine Brotqualität einstellt, die nur selten zu finden ist. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Einsatz von wenig oder keiner Backhefe. Hefe an sich ist nicht das Problem, sondern die Zeit, die wir dem Teig durch überdosierten Einsatz von Hefe stehlen. Und je weniger Zeit einem Teig für die Fermentation zur Verfügung steht, umso weniger Eigengeschmack und Bekömmlichkeit entwickelt er. Alle für unsere Gesundheit nachteilig beschriebenen Stoffe in Getreide bzw. Brot wie Fodmaps, ATI, Acrylamid oder Gluten werden durch die oben genannten Punkte abgebaut oder so verändert, dass wir sie vertragen (ausgenommen Gluten bei echten Zöliakiepatienten). Insbesondere die Arbeit mit wenig Hefe und/oder Sauerteig ist der Garant dafür, dass das Getreide für unseren menschlichen Organismus vorverdaut (fermentiert) wird.

Auf der Suche nach gutem Brot

Tipp: Wie erkenne ich gutes Brot in einer Bäckerei und wie kann ich es bewerten? Mehr darüber findest du im Buch Auf der Suche nach gutem Brot von Christina Weiß und mir.

Viel Geschmack

Nebenbei profitiert der Geschmack von dieser Taktik. Ein gutes Brot schmeckt mit sich selbst am besten. Es braucht keinen Belag oder Aufstrich. Nachdem ich ein Brot angeschnitten habe, wandert es zuerst an die Nase. Zieht dabei ein muffig-dumpfer Duft hinein, hat das Brot schon verloren. Gleiches gilt, wenn das Brot nach Nichts riecht. Auch hier macht die Hefe den Unterschied. Bei normalen Brotteigen schmeckt die Hefe bei einem Anteil von über 1 g pro 100 g Mehl (=1 %) vor, hinterlässt einen leicht bitteren Nachgeschmack und überlagernde Aromen. Biohefe auf Getreidebasis ist dabei deutlich angenehmer und macht das Aroma lieblicher. Den komplexesten Geschmack und die vielfältigsten Aromen bringt Sauerteig ins Brot, übrigens auch in Feinbackwaren, also süße und fettreiche Brote und Brötchen.

Die oben angeführten Punkte machen das Backen von gutem Brot unglaublich vielfältig. Es gibt rechnerisch etliche Billionen Möglichkeiten, ein gesundes und geschmackvolles Brot zu backen. Und innerhalb dieses Rahmens gibt es auch kein richtig und falsch, sondern jeder kann sich seinen Weg aussuchen – von einfach bis komplex.

Über den Tellerrand schauen

Für mich ist ein gutes Brot aber noch mehr. Weiten wir den Blick. Ein gutes Brot sollte auch aus gutem Getreide bestehen. Getreide, das nicht um die halbe Welt transportiert wurde, sondern möglichst regional nach ökologischen Kriterien nachhaltig angebaut wurde. Es sollte aus samenfestem Saatgut wachsen, das bestenfalls an die Region angepasst ist und einen kulturellen Wert darstellt, den wir durch unser Backen erhalten. Nur so können Züchter und Landwirt weiter mit den Sorten arbeiten. Verbacken wir Mainstreamgetreide vom Weltmarkt, bleiben nur noch wenige Industrie-Sorten erhalten, die Vielfalt schwindet und damit auch unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber Einschnitten wie dem Klimawandel. Außerdem unterstützen wir so das arg gebeutelte Züchter- und Müllerhandwerk. Es muss nicht immer das beste Mehl aus Italien, den USA oder Kanada sein. Mit Mehlen aus unserer Region lässt sich auch gut backen. Es ist die langfristig klügere Wahl.

Ich verwende generell Biozutaten für meine Brote. Damit meine ich nicht das Label auf der Packung, sondern die Herstellungsweise. Mir ist egal, ob sich ein Hersteller zertifiziert oder nicht. Wichtig ist, dass ich weiß, wie er arbeitet. Und dabei zählt für mich vor allem, ob der Boden und dessen Lebewelt nach der Ernte besser dasteht als vorher. Es geht um Vertrauen und Vertrauen kann ich am besten aufbauen, wenn ich weiß, wie mein Lieferant arbeitet.

Ein gutes Brot ist eine Welt für sich.

Es schmeckt nicht nur frisch gebacken, sondern auch nach einigen Tagen. Besser noch: Es verändert seinen Charakter über die Tage, bleibt aber immer ein Genuss. Und wenn wir die Geschichte unseres Brotes vom Samenkorn bis zum Anschnitt kennen, schmeckt es noch einmal bedeutend besser.