Bäckerparadies Japan
Mein Reisebericht
Nach meiner Japanreise im vergangenen Jahr gab es nicht nur auf Seiten meiner japanischen Hobby- und Profibäcker Interesse an einer Wiederholung. Auch ich spürte ein großes Verlangen nach einer Neuauflage meines Besuches, nachdem ich kennenlernen durfte, mit welcher Detailverliebtheit, Begeisterung und Perfektion alle Bäcker, denen ich begegnet bin (vom jungen Helfer bis zum alten Meister), am Brotteig arbeiten.

Baguettes hängen in einem Baguettekorb an der Wand.
Zwei Wochen im Februar waren dieser Reise vorbehalten. Eine Woche lang gab ich in Tokio Kurse für über 80 Teilnehmer aus allen Bereichen der japanischen Backbranche und aus allen Teilen Japans zum Thema deutsches Brot. Mit meinen Interpretationen deutscher Backtradition, darunter Paderborner Roggenmischbrot, Berliner Knüppel, Kieler Semmel, Hamburger Franzbrötchen, Roggenschrotbrot, Bauernbrot (Brot des Jahres 2019), Laugenbrezeln und einigen mehr habe ich viel Begeisterung erlebt. Einer der Kurse fand unter der Regie eines Bäckervereins statt, der sich vor allem dem deutschen Brot widmet und in ganz Japan Mitglieder hat. Einige der angereisten Teilnehmer erzählten mir, dass schon oft deutsche Bäckermeister eingeladen waren, sie aber entweder gar nichts sagten, sondern wortlos backten oder keine fachlichen Erklärungen für das Gezeigte anbieten konnten. Sie lobten meinen Ansatz, wirklich alles, was ich tat, auch fachlich zu begründen. Aus meiner bisherigen Erfahrung mit japanischen Bäckern heraus ist es genau das, was den durchschnittlichen japanischen Bäcker im Unterschied zu vielen deutschen Bäckern auszeichnet: Sie wollen verstehen, was sie tun, haben für jedes Detail eine Erklärung und analysieren ihre Arbeit. Und nur so kann meiner Meinung nach eine so hohe, sich immer wieder erneuernde Brotqualität entstehen, wie ich sie in Japan kennenlernen durfte. Der Durchschnitt deutscher Bäckereien könnte sich davon mindestens eine Scheibe abschneiden.
Die japanische Brotkultur ist sehr frankophil: Baguettes, Croissants, Brioche, Weißbrot überall. Aber auch deutsches Brot ist schon seit Jahrzehnten in Tokio und immer mehr auch auf dem Land vertreten. Bäckereien wie „Brotheim“, „Zopf“, „Tanne“, „Danke“ oder „Wanderlust“ lassen es schon im Namen erahnen. Ich war wahrlich noch nicht in ganz Frankreich oder in ganz Paris auf Brotsuche, aber auch nicht in Japan oder Tokio. In japanischen Bäckereien habe ich aber die bislang besten Baguettes, Croissants, Brioches und Sandwichbrote meines Lebens gegessen. Und auch die Handsemmeln (handgeschlagene Kaisersemmeln) von Herrn Akashi (Bäckerei Brotheim) schlugen alle Weizenbrötchen, die ich bisher essen durfte – und er war noch am Üben.
Seit meinen Kursen sind auch Hamburger Franzbrötchen Teil des Sortiments einiger Bäckereien geworden. In der Bäckerei Hidaka in der Präfektur Shimane im Westen Japans in einem 400-Seelen-Dorf habe ich mit Kosaku Hidaka neben seinem normalen Sortiment auch Franzbrötchen, Handsemmeln und mehr als 50 Mini-Paderborner gebacken. Innerhalb von zwei Stunden war alles ausverkauft. Der Kilopreis für Paderborner lag bei 12 Euro – landesüblich und das, obwohl die Mehlpreise sich im Einkauf für den Bäcker kaum zu Preisen von deutschen Biomehlen unterscheiden. Herr Hidaka hat in der schwäbischen Bäckerei Beier gelernt und spricht gut Deutsch. Er bäckt die besten Brezeln Japans.
Mehle werden größtenteils aus Frankreich und Deutschland nach Japan importiert, umverpackt und unter Namen wie „Brocken“ oder „Heide“ verkauft. Eine Typisierung wie in Deutschland gibt es nicht. Stattdessen wird eher der Klebergehalt und die Kleberqualität beachtet, ganz wichtig bei der Masse an Weizengebäcken. Einige Bäcker im Land treiben auch den Anbau japanischer Weizensorten voran. Ökologische Landwirtschaft ist leider noch ein Randthema, aber immer mehr im Kommen.
Mein erster Kurs fand in der Bäckerei Zopf vor den Toren Tokios statt. Der Chef, Herr Ihara, gilt als einer der bekanntesten und besten Bäcker Japans. Ich durfte nun schon zum zweiten Mal seine Räumlichkeiten nutzen und zum ersten Mal in seiner Backstube miterleben, wie etwa zehn Bäcker auf engstem Raum täglich über 300 verschiedene Produkte herstellen. Faszinierend dabei war die Ruhe, Gelassenheit und Zielstrebigkeit der Bäcker. Abgesehen davon, dass eine solch enge Backstube in Deutschland nicht genehmigungsfähig wäre, ist mir auch diese angenehme Arbeitsweise in noch keiner deutschen Bäckerei begegnet. Alles greift wie ein Uhrwerk ineinander. Die Backwaren kommen aus dem Ofen direkt heiß in den Verkauf. Im Laden haben maximal acht Kunden Platz. Der Rest steht davor in einer langen Schlange, die den ganzen Tag über an Länge nichts einbüßt.
Ähnlich sieht es aus bei Beaver Bread mitten in Tokio. Der Chef stammt ursprünglich aus der Gastronomie und betreibt seit wenigen Jahren seine eigene Bäckerei, die ich vergangenes Jahr schon besucht hatte. Wieder auf engstem Raum werden dort kunstvolle Backwaren hergestellt. Der Tagesumsatz liegt bei etwa 5000 Euro in einem Laden, der gerade einmal sechs Kunden fasst.
Gebacken wird in all meinen besuchten Bäckereien mit Langzeitverfahren, ohne künstliche Backmittel, ausschließlich mit Hefe oder Sauerteig. Sauerteig ist ein großes Thema. Fast alle führen ihre eigene Weizenkultur, oft auch einen Roggensauerteig. Viele Bäcker arbeiten mit Amazake-Starter (ein süßes, mit Koji-Pilz fermentiertes Reisgetränk, das zu einer Art Hefewasser weiter fermentiert wird) oder mit Hefewasser aus Rosinen oder Äpfeln. In der Bäckerei Zopf wird so zum Beispiel in einigen Produkten ein Hefewasser eingesetzt, dass seit 30 Jahren ausschließlich mit Apfelsaft aufgefrischt wird.
Japaner lieben ein saftiges Kaugefühl. Der Biss muss lange weich und erst am Ende kurz fest sein. Das erklärt einerseits, weshalb so viel Sandwichbrot, Brioche und verwandte Gebäcke gegessen werden und ist andererseits ein Grund für die Kultur der Brotfüllungen. Fast jedes Brot ist gefüllt, traditionell mit süßer Bohnenpaste in Form von Anpans (kleine Brötchen mit roter, weißer oder grüner Bohnenpaste), aber auch herzhaft mit Thunfisch, Blauschimmelkäse, Currywurst, ganzen gekochten Kartoffeln, Curry und vielem mehr. Das Kaugefühl von Reis („mochi mochi“) muss auch in den Backwaren erhalten bleiben.
Nur langsam verändert sich das Essverhalten hin zu auch festeren Krusten, beispielsweise beim Pain de Lodève, beim Baguette oder beim Roggenbrot.
Die Verkaufsflächen in den Bäckereien sind oft klein, so wie auch die Gebäcke. 90 % alle Backwaren sind Kleingebäcke, die wie in einer Boutique in Regalen zur Schau gestellt werden. Der Kunde nimmt sich am Eingang ein Tablett und eine Gebäckzange und wählt aus den Regalen die Backwaren seiner Wahl aus. An der Kasse wird dann verpackt. Niemand fasst die Ware in den Regalen an, niemand spuckt oder hustet darauf. Hygiene ist in Japan meiner Erfahrung nach viel stärker in den Menschen verankert als in Deutschland. Wohl auch deshalb ist es kein Problem, die Backwaren im offenen, ungeschützten Verkauf und so näher am Menschen anzubieten. In Deutschland wäre das nicht zulassungsfähig – leider.
Ich habe auch dieses Jahr wieder und viel stärker den Eindruck gewonnen, dass in Japan die Brotkultur gelebt wird, die in Deutschland in der Mehrzahl der Fälle nur noch in Worten hochgehalten wird. Jeder deutsche Bäcker wird von einem Besuch japanischer Bäckereien profitieren und noch einmal neu über seinen Beruf nachdenken. So ähnlich drückte es auch Frank Winterberg aus, der nach der politischen Wende aus Potsdam nach Japan ging und dort nach angestellter Tätigkeit seit vier Jahren seine eigene Bäckerei „Thüringer Wald“ betreibt. Er meinte, er würde nie wieder nach Deutschland zurückkehren. Er hat sein Glück gefunden und könne sich ohne behördliche Zwänge bäckerisch austoben. Von vielen Bäckern, auch von gestandenen Bäckern wie von Herrn Akashi von der Bäckerei Brotheim (eine der angesehensten Bäckereien in Tokio) wird nicht verstanden, weshalb in Deutschland nicht jeder Brot verkaufen kann, sondern ein Meistertitel nötig ist. In Japan gibt es keinen Meisterzwang, aber dafür eine quicklebendige und hochkreative Bäckereilandschaft. Wer nicht gut bäckt, hat keine Kundschaft. Wer Hygienevorschriften nicht einhält, bekommt Probleme mit der Aufsichtsbehörde. Brotqualität ist nicht vom Meistertitel abhängig, sondern vom Willen, gutes Brot zu backen. Und dieser Wille ist bei allen mir bekannten japanischen Bäckern mehr als vorhanden.
Es gäbe noch so viel mehr zu erzählen. In allem Erlebten steckt so viel Begeisterung für die Begeisterung der japanischen Bäcker – egal ob im Hobby- oder Profibereich. Ich habe Hobbybäckerkurse von engagierten Frauen besucht, war zu Gast bei einem japanischen Hefehersteller, habe die japanische Bäckereimesse MOBAC besucht und viele neue und spannende Kontakte zu Bäckern geknüpft. Kontakte, die wohl dafür sorgen werden, dass ich auch nächstes Jahr wieder nach Japan reisen werde. Ein Land, in dem ich die Lust auf BäckereiHANDwerk überall erleben kann – ohne Scheuklappen, ohne Vorbehalte, ohne Standesklüngel, dafür mit unbändiger Neugier, Lernbereitschaft und Offenheit. Es geht einfach nur um gutes Brot. Ein Traumland für jeden ambitionierten Bäcker.
Mein Dank gilt meiner Dolmetscherin Tomoko, die mich bereits im zweiten Jahr mit viel Geduld und Einsatz durch Japan geführt hat, und ebenso meinen vielen Helfern während meiner Kurse und den vielen Bäckern, die ihre Backstuben für mich geöffnet haben.

Lutz Geißler mit seinen beiden Helfern in der Backstube Zopf.

Lutz Geißler zieht den Teig zwischen seinen Fingern auseinander, um das gebildete Teiggerüst zu überprüfen.

An einem Brezelteiglinge lehnt ein Zettel, auf dem der Name des Eigentümers steht.

Lutz Geißler und ein japanischer Bäcker bearbeiten Laugenbrezeln.

KursteilnehmerInnen begutachten und fotografieren ihre selbstgebackenen Laugenbrezel.

Die Franzbrötchen-Teiglinge wurden mit Stäbchen eingedrückt.

Die Paderborner Mischbrote liegen gestippt in Kastenformen.

Lutz Geißler im Gespräch mit einem Mitarbeiter des Naturhefeherstellers Hoshino.

Gruppenbild bei dem Naturhefehersteller Hoshino: Lutz Geißler, Herr Ihara, Tomoko und Mitarbeiter der Firma Hoshino.

Lutz Geißler referiert während seines zweiten Kurses vor über 60 Teilnehmern in Tokio.

Kursteilnehmer bedienen sich an einer Auswahl deutscher Backwaren wie Brezel, Franzbrötchen, unterschiedlichste Brote etc.

Auf einem Whiteboard sind Prozesse aufgezeichnet, die im Brüh-, Malz- und Mehlkochstück während der Reife ablaufen.

Lutz Geißler steht neben einem Baumkuchenbäcker in seiner Konditorei.

Im Schaufenster des Baumkuchenbäckers sind aus Baumkuchen hergestellte Vasen zu bewundern.

Frau Okamoto und eine japanische Frau zeigen Lutz Geißler die Handgriffe zum Schließen der gefüllten Anpans.

Goldgelb ausgebackene Anpans mit glänzender Oberfläche zeigen im Querschnitt die weißlich-gelbe Füllung.

Die goldgelb ausgebackenen Melonenbrötchen erinnern mit der von vielen kleineren Rissen durchzogenen Oberfläche etwas an Galiamelonen.

Das Algen-Ciabatta zeigt im Anschnitt die feuchte, glänzende Krume.

Frau Okamoto, Fujijo und Lutz Geißler.

Im Supermarktregal stehen Koji-Reispackungen.

Appetitlich angerichtetes Sashimi liegt auf einem schwarzen Brett.

Die Bäckerei Brotheim befindet sich in einem Fachwerkhaus in Japan.

Der Chef der Bäckerei Brotheim stellt Handsemmeln her.

Bäcker Akashi formt auf der Arbeitsfläche Baguette-Teiglinge, die zur anschließenden Garei n Leinen gesetzt werden.

Lutz Geißler formt gemeinsam mit Herrn Akashi Baguettes.

Lutz Geißler und eine japanische Bäckerin füllen Anpans mit Bohnenpaste.

Bäckermeister Akashi, sein Schüler und Lutz Geißler stehen in der Backstube der Bäckerei Brotheim.

Lutz Geißler und das Team der Bäckerei in der Backstube Brotheim.

In vielen Kastenformen liegen jeweils zwei Teiglinge des Sandwichbrotes.

Die Bäckerei Brotheim bietet ein riesiges Angebot an Backwaren unterschiedlichster Art an.

Zwei Bäcker arbeiten in der Backstube Brotheim.

Meister Ihara und Lutz Geißler stehen vor der Backstube Zopf in Tokio.

Lutz Geißler sitzt beim Meister der Backstube „Zopf“ zur Verkostung seiner Backwaren.

Auf einem Tablett liegen verschiedene Gebäckstücken der Bäckerei Zopf.

Die noch nicht gebackenen Melonenbrötchen-Teiglinge haben eine gezuckerter Oberseite mit leichtem Rautenmuster.

Drei Bäcker arbeiten in der kleinen Backstube der Bäckerei Zopf.

Bagelteiglinge liegen auf einem Backblech.

Auf den Walnussbrötchen-Teiglingen liegen zwei verschiedenen Füllungen, die noch in die Teiglinge eingearbeitet werden müssen.

Die Anpan-Teiglinge sind mit salzig eingelegten Kirschblüten gefüllt.

Herr Ihara steht vor einem Tablett mit gefüllten Knoten.

Das Gebäude, in dem sich die Bäckerei Tanne befindet.

Der Eingang der Bäckerei „Thüringer Wald“.

Lutz Geißler zusammen mit dem Bäcker der Bäckerei Beaver Bread.

Ein Mehlsack tragt die altdeutsche Aufschrift „Rhein-Gold 25 kg“ sowie japanische Schriftzeichen.

In einem Holzhaus befindet sich die Bäckerei von Motomi Nakagawa.

Im kleinen Verkaufsraum der Bäckerei liegen Backwaren zum Verkauf aus.

Von Motomi Nakagawa gebackene Lebkuchen verpackt für den Verkauf.

Die Baguettes sind auf dem Weg in den Ofen.

Lutz Geißler und Motomi ziehen behutsam einen Strudelteig größer.

Der Strudelteig wird von zwei Bäckerinnen hauchdünn gezogen.

Lutz Geißler mit japanischen Freunden.

Bäcker Hidaka portioniert Teiglinge.

Schwäbische Brezel-Teiglinge liegen auf der Arbeitsfläche.

Eine Kreidetafel informiert die Kundschaft in japanischen Schriftzeichen darüber, dass bereits um 12:10 Uhr alles ausverkauft war.

Lutz Geißler mit seinen japanischen Bäckerfreunden im Verkaufsraum der Bäckerei von Herrn Hidaka und seiner Frau.

Lutz Geißler sitzt mit japanischen Freunden am gedeckten Tisch.

Lutz Geißler hockt vor einem verschlossenen Höhleneingang.

Lutz Geißler in Mitten von Kosaku Kidaka und seiner Familie.

In einem Supermarktregal liegen verschiedenste Zuckersorten.

Ein Blick in die Messehalle mit ihren Ständen.

Eine Ausstellung der Kunstwerke, die beim iba-Cup-Wettbewerb entstanden sind.

Würstchen liegen eingebettet in einem blättrigen Teig.

Lutz Geißler steht mit einem Mühlenmitarbeiter auf der Messe MOBAC.

Der Blick aus dem Kaiserpalast in Tokio auf die dahinter liegenden Hochhäuser.