Paarl und mehr

Auf den Spuren der Brote des Vinschgaus in und um Plawenn

Schon oft habe ich Paarl gebacken (bei uns oft Vinschgauer genannt) und auch in Südtirol bin ich schon unterwegs gewesen, genauer gesagt im Ultental, um Paarlbäcker zu besuchen. Dieses Mal sollte es in die kleine Siedlung Plawenn gehen, nahe des Haidersees, unweit von St. Valentin auf der Haide. Mit dabei waren meine Kumpanin Christina und unsere Freundin Roswitha Huber von der Kalchkendlalm, wo ich seit 2014 meine Almbackkurse gebe.

Das Örtchen Plawenn liegt in einem weiten, grünen Tal, umgeben von bewaldeten Bergen. Im Vordergrund ziehen sich Weinreben den Hanghinunter zu einer mittelalterlichen Burg.

Das Örtchen Plawenn liegt in einem weiten, grünen Tal, umgeben von bewaldeten Bergen. Im Vordergrund ziehen sich Weinreben den Hanghinunter zu einer mittelalterlichen Burg.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Blick vom Kloster Marienberg nach Plawenn.

Schon bei der Anfahrt fällt ein Stausee auf, aus dem ein Kirchturm ragt. Südtirol hat eine bewegte Geschichte mit Angst und Hass, Gewalt und Vorurteilen, Rebellentum und Eigenständigkeit. Eine Geschichte, die erst Fahrt verlor, als Südtirol den Status einer eigenständigen Provinz bekam. In den sehr emotionalen und politischen Irrungen und Wirrungen der Nachkriegszeit wurde einerseits die deutsche Sprache aus Südtirol verbannt, andererseits sollte mit dem Anstauen des Reschensees ein Exempel statuiert werden. Das Dorf Altgraun wurde geflutet, nur wenige Familien konnten bleiben. Der Kirchturm ist ein Relikt und Mahnmal dieser Zeit und heute eine Touristenattraktion. Wer sich in diese Thematik einlesen möchte, dem sei das Buch „Ich bleibe hier“ von Marco Balzano ans Herz gelegt.

Aus dem türkisfarbigen Wasser des Reschensees ragt ein schlichter Kirchturm mit grauem Schieferdach auf.

Aus dem türkisfarbigen Wasser des Reschensees ragt ein schlichter Kirchturm mit grauem Schieferdach auf.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Der Kirchturm erinnert an ein fragwürdiges Kapitel in Südtirols Geschichte, der das Dorf Altgraun zum Opfer fiel.

Gegenüber des Sees liegt das „Café zum Turm“, das kurz vor unserer Reise von Bäcker Jörg übernommen wurde. Jörgs Backstube haben wir kurz besucht. Auf kleinstem Raum backen er und sein Sohn, der in München gelernt hat, vor allem Weizengebäcke, darunter auch Vorschussbrot, eine Art Paarl aus sehr hellem Weizenmehl mit vielen Brotgewürzen.

Der Plawennsche Ansitz

Zurück zu Plawenn. Der Weiler besteht seit mindestens 700 Jahren, vermutlich sogar seit 900 Jahren. Das markante Haus ist von weither gut sichtbar, auch die kleine Kirche nebendran. Etwa 40–50 Menschen leben hier. Die kleine Siedlung ist auf einem massiven Schwemmkegel errichtet, der mit rund 800 Metern Schichtdicke wohl zu den mächtigsten seiner Art zählt. Starke Regengüsse und Frost-Tau-Wechsel haben über Jahrtausende mächtige Muren abgehen lassen. Die Treppenstufen, die an der Eingangstür des Plawennschen Familiensitzes nach unten führen, verdeutlichen das. Ursprünglich ging es ebenerdig ins Haus. Auf den letzten massiven Murenabgang, der auch die Siedlung erreichte, wurden einfach neue Straßen gebaut. Das Gelände gewann an Höhe, die durch Treppen wieder ausgeglichen wurde.

Hinter einem bewaldeten Bergrücken erheben sich die schneebedeckten Höhen einer mächtigen Bergkette.

Hinter einem bewaldeten Bergrücken erheben sich die schneebedeckten Höhen einer mächtigen Bergkette.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Blick auf die Bergketten südlich von Plawenn.
Der rosa verputzte Ansitz Plawenn ist mit Schwalbenschwanz-Zinnen und Ecktürmchen geschmückt. Er ist heute der höchstgelegene noch bewohnte Adelsansitz der Alpen.

Der rosa verputzte Ansitz Plawenn ist mit Schwalbenschwanz-Zinnen und Ecktürmchen geschmückt. Er ist heute der höchstgelegene noch bewohnte Adelsansitz der Alpen.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Das markante Gebäude des Plawennschen Ansitzes.

Der Plawennsche Ansitz ist ein lebendiges Museum. Wer in der Nähe ist, sollte dort einmal übernachten und sich von Haushüter Konrad Meßner bekochen lassen. Er hat nicht nur kulinarisches Talent, sondern beschäftigt sich neben Kulturmanagement seit Jahrzehnten auch mit der Förderung lokaler Wertschöpfungsketten zwischen Landwirt und Bäcker.

Mit Konrad Meßner auf Tour

Konrad nahm uns deshalb mit auf eine Tour zu örtlichen Bäckern und Landwirten. Die Backstube von Bäcker Angerer hat uns besonders beeindruckt. Ein weitsichtig denkender Bäcker, der auf Backmittel und Vorprodukte verzichtet und ein schlankes Sortiment mit regionalem Bezug anbietet. Seine Vollkornmehle mahlt er mit Zentrofanmühlen selbst. Toller Geschmack, wunderbare Philosophie. Dass diese Arbeit gegen den Mainstream auf lange Sicht Erfolg hat, zeigt sein Umfeld: die anderen Bäcker, die ihn in seiner Anfangszeit kritisch beäugt haben, sind nicht mehr aktiv.


Weiter ging es nach Prato allo Stevio (Prad) zur Biohofbäckerei Folie. Frau und Schwiegertochter backen im Keller des Hauses Brot und Gebäck aus dem Getreide, das Landwirt Folie auf etwa fünf Hektar biologisch anbaut. Mit Unterstützung durch Konrad Meßner hat er nach der Aufgabe seines Sägewerks nun eine Getreidereinigung aufgebaut. Sie ermöglicht es ihm, aber auch anderen kleinen Bauern, das Getreide selbst zu reinigen. Die einzige professionelle Mühle in der Nähe (Meraner Mühle) ist viel zu groß, um Getreide von wenigen Hektar Land sortenrein zu reinigen und zu vermahlen. Folie mahlt und siebt sein Getreide auf einer Osttiroler Steinmühle. Familie Folie hat so die gesamte Wertschöpfungskette in ihrer Hand, vom Acker über die Mühle bis zum Brot. Beeindruckend. Und beeindruckend viel Arbeit.

Der Apparat zur Getreidereinigung besteht aus mehreren großen Walzen, die übereinander angeordnet sind und durch einen Motor bewegt werden.

Der Apparat zur Getreidereinigung besteht aus mehreren großen Walzen, die übereinander angeordnet sind und durch einen Motor bewegt werden.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Die Getreidereinigung der Biohofbäckerei Folie.
Große Walzen, die mit Rohren verbunden sind, hängen übereinander.

Große Walzen, die mit Rohren verbunden sind, hängen übereinander.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Nahaufnahme der Getreidereinigung.
Die Steinmühle ist aus hellem Holz gebaut.

Die Steinmühle ist aus hellem Holz gebaut.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Die Osttiroler Steinmühle der Biohofbäckerei Folie.

Auf dem Winklhof

Ähnlich viel Arbeit, aber auch Unabhängigkeit hat Familie Burger vom Winklhof, ebenfalls in Prad (Prato). Sie haben neben Viehhaltung und Gemüseanbau auch noch eigenen Getreideanbau und eine kleine Bäckerei, in der vor allem Paarl gebacken werden. Dafür heizen Mutter und Tochter regelmäßig den Holzofen an. Verkauft wird im eigenen Hofladen und auf Märkten. Sehr empfehlenswert. Ein Paarl mit dem hauseigenen Speck dazu – was gibt es Besseres? Wir haben gut geschlafen, gut gegessen und viele neue Eindrücke aus dem Bauernbäckerhandwerk mitnehmen können. 

Ein großes Schild aus Metall heißt den Besucher des Winklhofes bei Familie Burger willkommen.

Ein großes Schild aus Metall heißt den Besucher des Winklhofes bei Familie Burger willkommen.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Zu Gast bei Familie Burger in Prad.
Blick in die Backstube des Winklhofes: hinten ein aus roten Ziegeln gemauerter Holzofen, rechts lange Holzbalken auf Regalen zum Lagern des Brotes.

Blick in die Backstube des Winklhofes: hinten ein aus roten Ziegeln gemauerter Holzofen, rechts lange Holzbalken auf Regalen zum Lagern des Brotes.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Der Holzofen des Winklhofs in Prad.

Kloster Marienberg

Tipp am Rande: Wer in der Nähe sein sollte, darf dem Kloster Marienberg einen Besuch abstatten. Ein Pater bäckt dort regelmäßig für seine Mitbrüder. Davon ist für die Öffentlichkeit leider nichts zu sehen. Ein Besuch lohnt dennoch. 

Das große weiße Gebäude des Stift Marienberg erhebt sich imposant am bewaldeten Berghang.

Das große weiße Gebäude des Stift Marienberg erhebt sich imposant am bewaldeten Berghang.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Das Benediktiner Stift Marienberg.
Geflügelte Puttenköpfe grüßen den Besucher auf dem Weg zum Eingang ins Kloster.

Geflügelte Puttenköpfe grüßen den Besucher auf dem Weg zum Eingang ins Kloster.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Eingangsbereich von Marienberg.
Das Kircheninnere strahlt in weiß mit goldenen Aktzenten.

Das Kircheninnere strahlt in weiß mit goldenen Aktzenten.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Die Stiftskirche.

Bemerkenswert gut ist nicht nur die Verbindung von historischer und moderner Architektur gelungen, sondern auch das Klostermuseum. Von der Abtei Marienberg ist übrigens der Plawenner Schwemmfächer (Malser Haide) besonders gut zu erkennen. Bis bald, Südtirol!

Auf dem Ortsschild von Plawenn steht der Ortsname auf Deutsch und Italienisch. Im Hintergrund steigen die bewaldeten Hänge zu grauen Felsen auf.

Auf dem Ortsschild von Plawenn steht der Ortsname auf Deutsch und Italienisch. Im Hintergrund steigen die bewaldeten Hänge zu grauen Felsen auf.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Wir verabschieden uns von Plawenn.
Eine blühende Berg-Hauswurz hebt sich in kräftigem Rosa von dem Grau des steinigen Bodens ab.

Eine blühende Berg-Hauswurz hebt sich in kräftigem Rosa von dem Grau des steinigen Bodens ab.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Viel Natur um Plawenn in Südtirol.