„Deutschlands bester Bäcker“
Oder: Wie das ZDF einen ungeliebten Sendeplatz mit Leben füllen möchte
Es ist 7.15 Uhr. Wolkenloser Himmel. Die Sonne wärmt den Park um das Palais Großer Garten schon seit Stunden. Mütter bringen ihre Kinder zur Schule, Radfahrer treten sich zur Arbeit und Spaziergänger bleiben fragend am barocken Dresdener Bauwerk stehen.
Ein Mann und eine Frau bauen Fahnen vor dem Eingang auf. Darauf zu sehen: eine Bäckermütze, umrahmt von zwei Getreideähren. Hinter den Fenstern blenden Sonnenstrahlen, die den Spaziergängern von großen Reflektoren entgegen geworfen werden. Schwarze Kleintransporter fahren vor, Kameras tauchen auf, weiße Gestalten laufen majestätischen Schrittes auf das imposante Eingangsportal zu.
Während die ersten Passanten ihre Handys zücken, fragen sich andere noch, was hier vor sich geht. Es sind die Dreharbeiten zur ZDF-Sendung „Deutschlands bester Bäcker“, die ab 15. September 2014 von Montag bis Freitag 15.05 Uhr sechs Wochen lang laufen wird. Das Bäckerhandwerk setzt große Hoffnungen auf einen Sendeplatz, der bislang ein Sorgenkind des Zweiten ist. Johann Lafer soll es richten.
Mit ihm gemeinsam werden Bernd Kütscher, Jochen Baier, Eveline Wild und Sabine Baumgarten Deutschlands besten Bäcker suchen. Brot ist männlich, Süßes weiblich. So die Rollenverteilung in der Jury. Und Johann Lafer? Er soll Bäckerei und Konditorei vereinen. Zwei Fachrichtungen, die sich im Fachalltag nicht immer auf Augenhöhe begegnen.
„Ich selbst kann kaum etwas weniger widerstehen als dem Duft von gutem Brot und feinem Gebäck. Deshalb freue ich mich ganz besonders darauf, die Besten ihres Fachs zu suchen und unseren Zuschauerinnen und Zuschauern die Faszination für Qualität und Leidenschaft für Handwerk zu vermitteln.“
Johann Lafer
Johann Lafer versteht es, Inhalte zu verkaufen. Immer gut gelaunt, aber mit spitzer Zunge.
Frank-Walter Steinmeier, deutscher Außenminister und Freund guten Brotes, soll eine Bäckerei aus seinem Wahlkreisland Brandenburg vorgeschlagen haben. Über 1500 weitere Nominierungen mussten von der ZDF-Redaktion und der Produktionsfirma nach Auswahlkriterien wie Regionalität, eigene Herstellung, Verzicht auf Fertigmischungen oder handwerkliche Qualität kategorisiert und bewertet werden. Letztlich schafften es 72 Bäckereien in den Wettbewerb.
Die Aschenbecher am Palais sind gut gefüllt. Der stämmige Sicherheitsmann achtet pinibel darauf, dass keine Kippen auf den Sandsteinstufen ausgedrückt werden. Wäre Rauchen eine Berufskrankheit, wären die Filmemacher nicht mehr im Dienst. „Uuuuund Klappe!“ Per Funk vom Bildschirm aus gibt die Regie den Startschuss. Lafer, Baier und Baumgarten laufen beschwingt in den Festsaal, der mit seinen unverputzten Wänden den Charme einer Bauruine ausstrahlt. Lange weiße Vorhänge, auf denen die ährenumrahmte Bäckermütze prangt, kaschieren das Gröbste und erinnern ein wenig an Fahnen, die zu weniger erfreulichen historischen Anlässen die Massen beeindrucken sollten.
Vier mal drei Bäckerteams stehen pro Drehtag vor der Kamera. Heute ist der Tag der Ostdeutschen. Bäckermeister aus Brandenburg, Berlin, Thüringen und Sachsen packen ihre Produkte aus, arrangieren sie und fachsimpeln nebenbei. Keine Wettbewerbsatmosphäre, sondern Stimmung wie zum Erfa-Kreis. Vier Tagesfinale auf einmal werden gedreht, die später von Montag bis Donnerstag am Kaffeetisch zu sehen sein werden. Die Teams bekommen vorab eine Aufgabe gestellt, für deren Umsetzung sie in ihrer Bäckerei eine Nacht Zeit haben. Die Berliner backen Schrippen, die Brandenburger Rehrücken, die Thüringer Kleckslkuchen und die Sachsen Eierschecke. Regionale Spezialitäten mit Qualitäten so unterschiedlich wie die teilnehmenden Bäckereien.
Lafer kostet, nickt, fragt nach. Sieben Minuten diskutiert er mit Baier und Baumgarten über die Schrippen, die keine Welt für sich sind. Lachen und Murren in der Regie. Die Redakteurin beißt in ein Brötchen von Heberer. Sieben Minuten. Zu lang für die Sendung.
Schweißperlen auf der Bäckerstirn. Hinter den eben noch einmal glatt gebügelten Tischdecken der Teamtische werden Bäckerhände gehalten, Bäckerfüße trommelten vor Aufregung auf den Boden, würde der Tonmeister nicht mit gebührendem Sarkasmus Einhalt gebieten. Die Jury hat beraten. Abseits der Teams, abseits von allem. Nur Kamera, Redakteurin und Produzent sind dabei.
„Uuuund Klappe!“
Lafer versteht sein mediales Handwerk. Er ist der Herr im Haus. Seine Co-Juroren ergreifen das Wort, wenn er darum bittet. Und er bittet vor allem Jochen Baier, der von Brot mehr versteht, als es Lafer verbergen kann. Baumgarten wirkt wie das dritte Rad am Wagen, bringt mit ihren Zwischenbemerkungen nicht nur einmal das Regiekonzept ins Wanken. Trost spendet Lafer, der bei jedem Abgang der Jury seinen Arm um ihre Schulter legt.
Lafer betritt den Saal, seine beiden Fachleute einen halben Schritt hinterdrein. Die Anspannung hinter den Tischen ist spürbar, auch in der Regie am Bildschirm. Lafer kostet diesen Moment aus, mehr als der Produktion gut tut. „Und der Gewinner iiiiiist…“ Die Kameras schwenken auf den Sieger. „…eeeein Bäcker!“ Der Regie fährt die Hand mit lautem Knall auf den Tisch, „Scheiße!“ Die Spannung ist weg. Die Bäcker lächeln höflich, wissen dank der Kameraschwenks längst, wer gewinnt, erwarten den nächsten Anlauf Lafers. Ein zu schöner Moment für Lafer, ärgerlich für die Regie. Hier muss der Schnittmeister ran. Angespannte Gesichter und zügige Verkündung. Das packt den Zuschauer.
Brot und Brötchen sind Mangelware. Wie auch in zwei Stunden?
Zum Nachmittagskaffee schmeckt Süßes am besten. Wohl einer der Gründe, weshalb sich in den Tages- und Wochenfinalen die Konditorei gegenüber der Bäckerei durchsetzt. Kuchen, Torten, Feingebäcke. Brot und Brötchen sind Mangelware. Wie auch soll in zwei Stunden vor der Kamera ein handwerklich gutes Brot entstehen? Zwei Stunden. Die Zeit, in der die vier Tagesgewinner aus vier Bundesländern am nächsten Drehtag sechs Gebäckvarianten für einen Picknickkorb backen und anschließend in gleicher Zeit eine Sahnerolle herstellen sollen. Teige für den Korb dürfen vorbereitet werden. Von der Sahnerolle erfahren sie erst während des Drehs.
An diesem Tag treten die Schwächen des Formats zu Tage, die zugleich spannend für den Zuschauer sind. Die ausgewählten Bäcker und ihre Schwerpunkte unterscheiden sich zu stark, als dass ein gleichwertiger Wettbewerb möglich wäre. Deutschlands bester Bäcker wird nicht in dieser Sendung gefunden. Die Zuschauer bekommen Unterhaltung, von echten Bäckern in ungewohnter Umgebung. Es sind nicht die besten Bäcker Deutschlands. Gute Bäcker haben sich beworben, wenige von ihnen sind unter den 72 Auserwählten.
Vor der Kamera ist alles anders
Die Enttäuschung unter den Bäckern ist groß. Der Drehtag zum Wochenfinale in der Sächsischen Bäckerfachschule Dresden-Helmsdorf verläuft alles andere als gut. Die Sahnerolle ein Desaster. In der Regie Unverständnis über die gestandenen Bäckermeister. Lafer betritt mehr als einmal kopfschüttelnd den Regieraum. Recht hat er.
Ein Bäcker ist nicht immer ein Konditor. Und vor der Kamera ist alles anders als in der vertrauten Backstube. Erst die Ausstrahlung der Sendung wird zeigen, ob das ZDF mit seiner Produktionsfirma EndemolShine Germany und einem hohen sechsstelligen Budget auf bloße Unterhaltung setzt oder dem Zuschauer einen Mehrwert bietet, ob die Bäcker im rechten Licht vorgestellt und nicht aus dem Off als Heilsbringer oder Taugenichtse übersprochen werden.
Bernd Kütscher, Direktor der Bundesakademie des Bäckerhandwerks, ist zuversichtlich:
„Ich lerne jeden Tag dazu und habe Freude daran, mein Wissen zu teilen. Diese Passion für Brot und dessen Produzenten möchte ich gerne den Zuschauern näher bringen. Besonders wichtig ist mir dabei, das leider etwas verstaubte Image des Bäckerberufs zu korrigieren und die wahre Kunst des Bäckers ins beste Licht zu rücken.“
Er und der Zentralverband des Deutscher Bäckerhandwerks hoffen auf ein besseres Bäckerimage. Sein Engagement für die Sendung soll nicht vergebens gewesen sein. Ob der ungeliebte Sendeplatz mehr Menschen erreichen wird als das ZDF-typische Klientel über 60, bleibt fraglich.
„Und der Gewinner iiiiiiist…“
Lafer ist König. Selbst die Regie weist ihn nur behutsam auf seine dramaturgischen Fehltritte hin. So wird es auch am Ende des Wochenfinales heißen: Es gibt einen Gewinner und einen Schnittmeister, der gespannte Gesichter auf Lafers Verkündung schneiden wird.
Die Sonne scheint noch immer. Nur wärmer ist es. Das Filmteam dreht vor dem Palais. Lafer wird erkannt, fotografiert. Passanten überall. Der Regisseur spielt Wegweiser und lotst verirrte Inlineskater von Lafer und seinen Co-Juroren weg.
Anstrengend ist all das, für Jury und Drehteam. Weit mehr als 12 Stunden pro Tag stehen sie auf den Beinen. Und Wochen voller Drehtermine stehen ihnen noch bevor. Die meiste Arbeit haben Kütscher, Baier, Wild und Baumgarten. Sie besuchen die teilnehmenden Bäckereien vor Ort. Lafer ist das Gesicht der Sendung. Mehr nicht.
Am Ende treffen sie sich wieder. In Berlin. Das Finale wird zeigen, wer sich mit einem Titel schmücken darf, der keiner ist. Und dennoch hat der Gewinner etwas geleistet. Er ist der beste Bäcker von „Deutschlands bester Bäcker“. Einer Sendung, deren Erfolg entscheiden wird, ob im deutschen Fernsehen künftig nicht nur gekocht, sondern auch gebacken wird.