Brotbacken in einer kolumbianischen Schule
Gastartikel
Hin und wieder erreichen mich Nachrichten aus fernen Gegenden, sei es Brasilien, Chile, Australien, Tunesien oder Kolumbien. Auch dort wird Brot nach Plötzblog-Rezepten gebacken. Ein besonders tolles und erzählenswertes Beispiel hat mir Adrian Fuhrmann geschickt. Er betreibt mit dem Backen von Brot quasi Entwicklungshilfe im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres. Nachfolgend Adrians Gastbeitrag.
Liebe Bäcker- und Hobbybäckergemeinde,
ich bin Adrian, 19 Jahre alt, gerade mit der Schule fertig und lebe seit Anfang August 2013 im Rahmen meines freiwilligen sozialen Jahres in Kolumbien. Meine Hauptaufgabe ist es, Englischunterricht für jede Altersstufe an einer kleinen Schule in der Stadt Cali zu geben. Jetzt werden sich einige Leser fragen: „Das ist ja alles schön und gut, aber wie kommt dieser Junge Mann dazu, einen Gastbeitrag ausgerechnet für den Plötzblog zu schreiben?“
Tatsache ist, dass ich die Möglichkeit habe, mich an einem Tag der Woche dem gemeinsamen Brotbacken mit den Jugendlichen zu widmen. Man kann sich das Ganze wie eine Art Wahlpflichtunterricht mit kleinen Schülergruppen vorstellen. Schon zu Zeiten, als ich noch in Deutschland zur Schule ging faszinierte mich die Kunst des Brotbackens und so dauerte es natürlich nicht lange, bis ich auf den Plötzblog stieß. Mit der Zeit probierte ich nacheinander die extrem gelingsicheren Rezepte des Blogs aus und vermehrte somit im gleichen Zuge meine Erfahrung und meine Liebe zum Backen. Als ich mich nun für das freiwillige soziale Jahr in Kolumbien bewarb, erwähnte ich gegenüber meiner jetzigen Entsendeorganisation „Aguablanca e.V.“ auch, dass ich Brotbacken als eines meiner Hobbies ansehe. Zu meiner Freude wurde ich angenommen und bekam unter anderem sofort den Auftrag, einen in der Schule vorhandenen Bäckerofen wieder zu „befeuern“ und mit ernährungstechnisch wertvollem Brot zu füttern. „Was für eine spannende und gleichzeitg fordernde Aufgabe“, dachte ich mir,“ du weißt schließlich vorher nie, welche Situation dich dann dort in einer kleinen Bildungseinrichtung mitten im Armenviertel der kolumbianischen Dreimillionenstadt Cali wirklich erwartet …
… Angekommen in Kolumbien, angekommen in der Schule, wurde mir von Anfang an jedoch sehr viel Vertrauen entgegen gebracht und so durfte ich sehr bald schon den Brotbackunterricht in die eigene Hand nehmen und mit großer Freiheit die Planung organisieren. Wobei Lutz mir tatkräftig und ohne Umschweife dabei half, die Rezepte an die hier anzutreffenden Herausforderungen, wie z. B. die Hitze (im Durchschnitt 30 Grad Celsius) und den Stundenplan der Schüler anzupassen, indem er mir in Windeseile immer wieder detaillierte Antworten und Ratschläge schickte. Vielen Dank nochmal an dieser Stelle.
Natürlich ist Brotbacken in Deutschland in jeder Hinsicht ungleich Brotbacken in Kolumbien. Das merkt man schon, wenn man hier eine „sogenannte Bäckerei“ besucht. Ersteinmal ist das Sortiment in 90 % der kolumbianischen Panaderías fast identisch. Es steht hauptsächlich Weißbrot zum Verkauf, welches immer recht viel Zucker, Butter und oft Käsestücken beeinhaltet. Wenn man den Blick weiter über die Ladentheke schweifen lässt, so fallen die vielen süßen, sehr oft auch frittierten Blätter- und Plunderteiggebäcke auf, gefolgt von den Maisküchlein und den Panes de Yuca. Letztere sind rund, aufgebläht, werden aus Maniokmehl bzw.Maniokstärke und Käse hergestellt und erreichen dabei eine extrem trocken-luftige Konsistenz. Die meisten Bäckereien verkaufen außerdem Kekse, Torten, Frikadellen, Fleischtaschen, Milchprodukte …
Da Kolumbien jedoch noch nicht wie Deutschland von großen Bäckereiketten überschwemmt ist, werden die Backartikel in einer überwältigenden Mehrzahl der Fälle, noch an dem Ort zusammengeknetet, wo sie auch verkauft werden … Ganz hinten, unten, in der letzten Ecke der Brotauslage, entdeckt man dann etwas, das sich Pan Integral nennt und ungefähr so schmeckt, wie leicht süßliches Vollkorntoastbrot. Es wird aus der Harina Integral hergestellt, welche vollwertiger als das normale Mehl (Type 405 – 505) sein soll, allerdings in keinster Weise mit dem deutschen Vollkornmehl zu vergleichen ist. Dieses Pan Integral ist gleichzeitig relativ verpöhnt, wird hauptsächlich gemieden und meistens nur als eine Art „saurer Apfel“ angesehen, in den gebissen werden muss, wenn die Waage ächzt … Als wir das erste Mal mit besagtem „Vollkornmehl“ buken, merkte einer meiner Lehrlinge an, dass er nur einmal in seinem Leben das Pan Integral probiert und aus Ekel sofort wieder ausgespuckt habe … Dies wären dann auch schon die einzigen beiden Weizenmehltypen, die hier unterschieden werden. Wenn man in den Supermarkt geht, trifft man in der Getreideabteilung wohl schon eher eine gewaltige Artenvielfalt von Maismehlen und Maniokmehl an.
Nach einem halben Jahr der Odyssee, unendlichem Nachfragen und vielen verwundert dreinschauenden Gesichtern, konnte ich schließlich ein Spezialgeschäft ausfindig machen, welches zu bestimmten Zeiten auch Roggenmehl verkauft. Nach dieser Entdeckung startete ich sofort den Versuch, Lutz’ Vinschgauer nachzubacken. Wundersamerweise kam das Endprodukt dem deutschen Original relativ ähnlich. Dabei darf man nicht vergessen, dass für die die typischen Vinschgauer ein triebfähiger Sauerteig absolut von Nöten ist. Tatsächlich versuchte ich mich seit dem Betreten kolumbianischen Bodens daran, meine eigene Sauerteigkultur anzusetzen.
Da der natürlich fermentierte Teig hier fast vollkommen unbekannt ist und selbst, aus dem Kreis der Eigeweihten niemand in der Lage zu sein schien, mir Auskunft über einen möglichen Aufenthaltsort dieser wundersamen Substanz, die einige „Masa Madre“ und andere „Masa Agria“ nennen, zu erteilen , blieb mir nichts anderes übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Hitze, gechlortes Wasser, Ameisen, schlechte Mehlqualität und andere, ungeahnte Schwierigkeiten stellten sich mir in den Weg, bis ich es nach mehreren, extrem entmutigenden Fehlschlägen schließlich schaffte, einen lebensfrohen Weizensauerteig herzustellen, der zwar ein bisschen anders riecht, als in Deutschland, jedoch die restlichen, notwendigen Charistika besitzt. Schließlich konnten wir in der Schule nun sogar schon mehrere Brote mit einem versauerten Vorteig backen, auch wenn sich die Nasen der jungen Bäcker bis jetzt noch nicht so wirklich an den Geruch der fermentierten Masse gewöhnen wollten.
Trotzdem sind alle Schüler immer wieder mit größtem Eifer dabei, wenn es wieder heißt Hefezöpfe, Baguettes und vor allem verschiedene Vollkornbrote zu kneten, zu formen, zu backen und schließlich vollkommen neue Geschmacksrichtungen zu erfahren. Fast alle Kinder setzen sich zum ersten Mal in ihrem Leben damit auseinander, wie Brot eigentlich hergestellt wird. Wer hätte gedacht, dass es im Grunde nicht mehr als Wasser, Salz, Mehl und ein wenig Geduld bedarf, um daraus sein eigenes Nahrungsmittel herzustellen, dass sogar schmeckt und dabei noch gesund ist. Einige Schüler erzählen von ihren Backversuchen, die unter einfachsten Bedingungen stattfinden und lassen sich von „flachgebliebenen“ und „unten verbrannten“ Endprodukten nicht erschüttern. Natürlich gehören auch Missverständnisse zum täglich Brot des Unterrichtens. So wurde der Autolyseteig in einer kurzen Phase meiner Abwesenheit fertiggeknetet und darauf gewartet, dass er endlich aufgeht.
Die ersten Brote wurden von den neugierigen Gutachtern vor dem Probieren natürlich ersteinmal als verbrannt und viel zu hart, als zum Verzehr geeignet, deklariert. Am Ende des Backtages siegen jedoch immer wieder nicht nur Geschmack und Geruch, sondern auch das Wissen darum und der Stolz, den Herstellungsprozess des finalen Werkes mitgetragen zu haben.
Insgesamt kann man sagen, dass deutsches Brot ein sehr hohes Ansehen genießt und immer als Mitbringsel bzw. Geschenk auf gewaltige Resonanz trifft … und nicht selten sieht man dann nach einigem Augenreiben, wenn man das große Glück haben sollte, eine Spezialbäckerei aufzufinden, die „echtes, dunkles Vollkornbrot“ verkauft, das seinen deutschen Verwandten ziemlich nahe kommt, dass dort unterhalb des Preises Termini wie „Schwarzbrot“, „Berliner Brot“ oder einfach nur „Brot“ angegeben sind.
Saludos aus Cali
PS: Ich sehe mich jetzt schon in Deutschland, von einem fragenden Gesicht zum nächsten hangeln, nur für den einen goldenen Hinweis, der mir Zugang zu den verführerisch leckeren „Pan de Bonos“, „Almojabanas“, „Pan Quesos“, „Arepas“ ,“Pan de Yucas“ … oder zumindest zu deren „exotischen Ingredienzen“ verschaffen kann.