Im Dinkelparadies

Zu Besuch im Zuchtgarten von Catherine Cuendet

Nahaufnahme von Dinkel-Pflanzen. Einige unscharf abgebildete Ähren im Vordergrund verstärken die räumliche Wahrnehmung.

Nahaufnahme von Dinkel-Pflanzen. Einige unscharf abgebildete Ähren im Vordergrund verstärken die räumliche Wahrnehmung.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Weg durch das Dinkelvermehrungsfeld.

Über Dinkel wurde viel geschrieben, gesagt und medial berichtet. Er galt lange Zeit als nahezu ausgestorben, wurde aber in den vergangenen Jahrzehnten zum Trendgetreide. Nicht zuletzt, weil ihm bessere Bekömmlichkeit und gesundheitliche Vorteile nachgesagt, angedichtet oder zugesprochen werden, ganz nach der eigenen Perspektive auf dieses ziemlich junge Getreide.

Im Zusammenhang mit meinem Podcastinterview mit Öko-Dinkelzüchterin Catherine Cuendet habe ich sie gemeinsam mit Christina im Juli 2023 auf dem Gut Mönchhof am Meißner in Hessen besucht.

Der Hof liegt abgeschieden in einer atemberaubend schönen Landschaft. Die Gebäude leuchten dem Betrachter rostrot entgegen. Lokaler Buntsandstein. Allein das wäre die Reise wert gewesen. Jede Hauswand ein geologisches Lehrbuch in Sedimentologie. Direkt neben dem Hof ein kleiner Steinbruch umringt von Dinkelfeldern. Auf einem davon befindet sich der diesjährige Zuchtgarten. Auf den anderen Feldern vermehrt ihr Mann Catherines Saatgut.

Blick über der Dinkelzuchtgarten am Meißner. Im Hintergrund eine sanfte Hügellandschaft.

Blick über der Dinkelzuchtgarten am Meißner. Im Hintergrund eine sanfte Hügellandschaft.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Der Dinkelzuchtgarten am Meißner.
Blick über ein Dinkelfeld; im Hintergrund eine sanfte Hügellandschaft.

Blick über ein Dinkelfeld; im Hintergrund eine sanfte Hügellandschaft.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Genetische Dinkelvielfalt, die mit bloßem Auge sichtbar ist.

Die Sonne wärmt, der Wind pustet sanft durch die langen Getreidehalme. Die Felder strahlen eine vornehme Eleganz und Ruhe aus. Wie seichte Wellen am Meer biegen sich die über einhundert verschiedenen Sorten hin und her. Ein Bild, das wir heute kaum noch gewohnt sind, werden doch überwiegend Getreidesorten angebaut, die kurze Halme haben oder die mit hormonellen Halmverkürzern niedrig gehalten werden. Das steigert den Ertrag, weil weniger Halme umfallen. Der Krankheitsdruck durch Schädlinge und Pilze wächst allerdings, je näher die Ähre dem Boden kommt. Die Folge ist der intensivere Einsatz von Pestiziden.

 

Ein schmaler Fußweg zwischen zwei benachbarten Feldern mit Bio-Dinkel und konventionellem Weizen.

Ein schmaler Fußweg zwischen zwei benachbarten Feldern mit Bio-Dinkel und konventionellem Weizen.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Links Bio-Dinkel, rechts konventioneller Weizen.

Catherine schöpft aus einem Dinkel-Genpool von über 1.000 Sorten, die sie mit viel Wissen, Erfahrung und Intuition miteinander kreuzt, um neue Sorten zu züchten, die an die in Zukunft zu erwartenden Klimaveränderungen angepasst sind, aber gleichzeitig die vielen weiteren Anforderungen erfüllen, die Bauern, Müller und Bäcker erwarten. Bei all den Bewertungskriterien einer Sorte aber spielt eines die Hauptrolle: Dinkel soll Dinkel bleiben. Das lässt sich über die Genetik prüfen oder aber über die Physiologie, das Wachstums- und Abreifeverhalten der Pflanzen, aber auch über das Backverhalten (weicher Kleber). Hier tauchen viele Grenzfragen auf. Ist ein Dinkel, der genetisch als Dinkel gilt, aber dessen Ähre aussieht wie ein heutiger Weizen, wirklich noch ein Dinkel? Sollte ein mit Weichweizen gekreuzter Dinkel noch Dinkel heißen dürfen, wenn er physiologisch aussieht wie ein Dinkel und sich bäckt wie ein Dinkel? Welchen Maßstab setzen wir an? Nur auf die Genetik zu schauen, wäre wohl zu kurz gegriffen. Wer einmal in diesem Zuchtgarten stand, wird sehen und spüren, dass es nicht die eine Wahrheit gibt. Die Welt ist zu vielfältig für Schubladendenken, auch in der Dinkelzüchtung.

Blick über den Dinkelzuchtgarten; im Bildhintergrund eine sanfte Hügellandschaft.

Blick über den Dinkelzuchtgarten; im Bildhintergrund eine sanfte Hügellandschaft.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Blick über den Dinkelzuchtgarten.
Nahaufnahme von Dinkel-Pflanzen. Einige unscharf abgebildete Ähren im Vordergrund verstärken die räumliche Wahrnehmung.

Nahaufnahme von Dinkel-Pflanzen. Einige unscharf abgebildete Ähren im Vordergrund verstärken die räumliche Wahrnehmung.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Weg durch das Dinkelvermehrungsfeld.
Nahaufnahme von Ähren von Dickkopfweizen und Dinkel.

Nahaufnahme von Ähren von Dickkopfweizen und Dinkel.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Dickkopfweizen und Dinkel - beide sind höchstwahrscheinlich verwandt.

Viel wichtiger zu erkennen ist, dass es kaum noch Dinkelzüchtung gibt, insbesondere nicht im Bereich der Biozüchtung. Catherine ist weltweit die Einzige, die das hauptamtlich betreibt. Dazu kommen noch eine Hand voll konventioneller Züchter. Die Dinkelvielfalt ist arg eingeschränkt, weil nur wenige Sorten angebaut werden. Eine Gefahr mit Blick auf die sich schnell wandelnden klimatischen Verhältnisse.

Es kommt nicht darauf an, dogmatisch an (vermeintlich) alten Dinkelsorten festzuhalten. Was für ein Verlust an geschmacklicher Vielfalt, wenn es all diese Sorten im Zuchtgarten nicht gäbe! Auch ein Verlust für Boden und Landwirte, denn nicht alle Sorten wachsen überall gleich gut. Ein Sommerdinkel wie der Flauder eignet sich beispielsweise besonders gut für landwirtschaftliche Randlagen, etwa in großer Höhe, wo Winterdinkel durch die lange Frostperiode nicht (gut) wachsen würden. Für jeden Acker die richtige Sorte. Aber das geht nicht von der Stange, sondern im Gespräch mit allen Beteiligten der Kette bis zum Brot.

Ähren von Schwarzem Emmer.

Ähren von Schwarzem Emmer.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Schwarzer Emmer.
Nahaufnahme von Dickkopfweizen-Ähren.

Nahaufnahme von Dickkopfweizen-Ähren.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Dickkopfweizen.

Angesichts des langen Atems, den Catherine braucht, bis eine Sorte marktreif ist (ca. 15 Jahre) und angesichts der vielen länderspezifischen bürokratischen Hürden für die Zulassung einer Sorte, drängt sich der Gedanke auf, dass es keinen geduldigeren Menschen geben kann als Catherine, aber sie verneint auf unsere Frage hin. Sie sei viel zu ungeduldig und müsse sich immer wieder bremsen. Ihr Traum in der Züchtung: Eine schwarzschalige Dinkelsorte, so wie es auch schwarzen Emmer gibt. Sie steht bereits auf ihrem Acker, aber ob sie auch alle Voraussetzungen für eine Zulassung erfüllt, wird sich erst in ein paar Jahren nach weiterer Züchtungsarbeit zeigen.

Detailaufnahme von zur Befruchtung aufgeschnittenen Dinkel-Blütenständen.

Detailaufnahme von zur Befruchtung aufgeschnittenen Dinkel-Blütenständen.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Körner wachsen in den zur Befruchtung aufgeschnittenen ehemaligen Blütenständen des Dinkels. Der Beginn neuer Sorten.
Nahaufnahmen von Schwarzem Emmer.

Nahaufnahmen von Schwarzem Emmer.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Schwarzer Emmer.
Langsame Abreifung von unten nach oben; dies ist ein Qualitätsmerkmal. In der Nahaufnahme von Getreidehalmen sind die unterschiedlichen Zustände deutlich zu erkennen.

Langsame Abreifung von unten nach oben; dies ist ein Qualitätsmerkmal. In der Nahaufnahme von Getreidehalmen sind die unterschiedlichen Zustände deutlich zu erkennen.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Die Züchterin Catherine Cuendet achtet darauf, dass ihre Dinkelsorten von unten nach oben langsam abreifen. Heute keine Selbstverständlichkeit mehr in der Züchtung.

Catherine Cuendet leitet die Außenstelle am Meißner der Biodynamischen Getreidezüchtung Peter Kunz aus Feldbach in der Schweiz. Wie alle Ökozüchter, die samenfestes Saatgut züchten, sind auch sie von Spenden und Fördermitteln abhängig. Wer die ökologische Getreidezüchtung unterstützen möchte, kann dies hier tun:


Einen Überblick über alle ökologisch 
gezüchteten Getreidesorten 
gibt es unter oekosorten.org.

Die goldfarbenen Dinkelähren ragen im Hintergrund über die grünen Ähren des Hafers im Vordergrund.

Die goldfarbenen Dinkelähren ragen im Hintergrund über die grünen Ähren des Hafers im Vordergrund.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Dinkel im Hintergrund, Hafer im Vordergrund.
Eine Art Gruppenbild von gelbstieligem und rotstieligem Dinkel.

Eine Art Gruppenbild von gelbstieligem und rotstieligem Dinkel.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Gelbstieliger und rotstieliger Dinkel.
Züchterin Catherine Cuendet und Bäckerin Christina Weiß in mitten eines Getreidefelds. Die Pflanzen reichen beiden bis zur Schulter.

Züchterin Catherine Cuendet und Bäckerin Christina Weiß in mitten eines Getreidefelds. Die Pflanzen reichen beiden bis zur Schulter.

Lutz Geißler (cc-by-nc-nd)
Züchterin Catherine Cuendet und Bäckerin Christina Weiß.