Rimini oder gutes Brot?
Ein Abstecher nach Mittelitalien
Wer Kurse gibt, lernt spannende Menschen kennen. Sabine ist solch eine Person. Als Nachrückerin für einen stornierten Kursplatz reiste sie eines Tages zur Kalchkendlalm und blieb den anderen Teilnehmern und auch Christina und mir vor allem dadurch im Bewusstsein, dass sie nahezu jedes mediterrane Lebensmittel aus ihrem alten Skoda holte, das im Laufe der Woche zur Sprache kam oder benötigt wurde.
Inzwischen gehört Sabine fast zum Inventar der Almkurse. Sie sorgt regelmäßig gemeinsam mit Roswitha für die kulinarische Verpflegung unserer Teilnehmer. Sabine lebt in Berlin und in Mittelitalien. Lange Zeit hat sie dort gearbeitet und seit Jahren Wurzeln geschlagen. Gemeinsam mit ihrem Mann genießt sie nun die Zeit nach der aktiven Arbeit im Unruhestand. Der große Garten mit Feigen- und Aprikosenbäumen, mit Zucchini- und Melonenpflanzen, mit großen Rosmarinsträuchern und vielen Kräutern möchte gepflegt sein. Brotbacken gehört auch dazu. Im eigenen Holzofen versteht sich, mit Blick auf eine betörend schöne Flickenteppichlandschaft.
Wir haben die schon lange ausgesprochene Einladung Sabines angenommen und sind im Juli 2023 zu einer Brotkulturreise nach Mittelitalien aufgebrochen. Die Zeit war wie immer viel zu kurz, aber sie hat gereicht, um Eindrücke mitzunehmen und zu erkennen, dass sich auch in Italien eine von Quereinsteigern angestoßene kleine Brotrevolution anbahnt.
Proviant für unterwegs
Damit wir für die besuchten Bäckerinnen und Bäcker eine kleine Brotreferenz mitnehmen konnten, haben wir zunächst den Holzofen angeheizt. Im kleineren Maßstab von nur einem Zehntel der Menge haben wir unser Schwarzwaldbrot gebacken, das wir uns rund eine Woche zuvor in Oberwolfach ausgedacht hatten. Anderer Holzofen, anderes Ergebnis, aber geschmacklich mindestens genauso gut.
Der italienische Geschmack ist eher auf milde Brote trainiert. Klassischerweise gibt es heute hefegelockerte Weizenbrote. Unser Schwarzwaldbrot war nach „deutschen“ Befindlichkeiten eher mild gesäuert, kam jedoch trotz dessen verschieden gut an.
Schnell weiter in Rimini
Einmal im Leben, dachten wir, müssen wir Rimini gesehen haben. Die Gefahr, in Rimini steckenzubleiben, bestand allerdings nicht: Bis auf den historischen Stadtkern ist die Touristenhochburg nicht zu empfehlen. Man sieht den Strand vor lauter Schirmen nicht. Das Wasser allerdings war badewannenwarm. Also schnell weiter ins Landesinnere.
In Urbino
Urbino ist die nächstgelegene Stadt von Sabines Haus aus. Die Straßen sind gewöhnungsbedürftig und fühlen sich eher an wie zu groß geratenes Kopfsteinpflaster. Mit jedem Starkregen rutschen Hangpartien auf die Straße oder unter der Straße weg. Repariert wird nur dann, wenn die Gemeinden Geld haben. Je klammer die Kassen, umso wichtiger die Stoßdämpfer. Die Stadtgeschichte und Stadtarchitektur Urbinos entschädigt für die wilde Anreise nach dem Brotbacken. Alte Gassen, mittelalterliche Häuser aus Natursteinen der Umgebung, die alte Stadtmauer, die Festung, das Mausoleum. Hier lässt es sich aushalten, zumal die Stadt durch die Studenten jung geblieben ist zwischen den alten Mauern. Kleine Geschäfte allerdings sterben allmählich aus. Große Einkaufszentren mit Allerweltsmarken am Stadtrand lassen inhabergeführte Handwerker- und Kaufmannsläden im Zentrum ausbluten. Die „dunkle“ Seite der Globalisierung ist auch hier angekommen.
Bei Daniele Ciabattoni
Nach dem privaten Holzbackofen folgte ein ehemaliger Pizzaholzofen in Ascoli Piceno, etwa 3 Stunden Autofahrt südlich von Urbino. Wir machten Station bei Daniele Ciabattoni, der von seinem Leben als Künstlermanager genug hatte und seitdem Getreide anbaut, selbst vermahlt und in seinem „Grano – Laboratorio di Panificazione“ anbietet. Gelernt hat er bei Nicolas Supiot, unschwer an der typischen Backmolle zu erkennen und daran, dass die Kleie ausgesiebt und separat versäuert wird. Vor dem Sauerteigbrot bäckt Daniele, dessen Nachname wie ein Künstlername klingt, eine Art Focaccia aus dem gleichen Teig, mit kräftig Olivenöl, Knoblauch und Rosmarin darauf.
In die Restwärme schiebt seine Konditorin kleine, süße Leckereien. Ein paar Kilometer aufs Land hinaus hat Daniele eine kleine Baracke hergerichtet, in der er eine alte Getreidereinigung aus Sizilien untergebracht und restauriert hat. Hier reinigt und sortiert er seine Ernte. Gemeinsam mit alten Weizensorten baut er Ackerbohnen an. Sie versorgen den Boden mit Stickstoff und stabilisieren die langen Weizenhalme.
Daniele bezeichnet sich selbst als Träumer, der mehr Ideen habe als Zeit, sie umzusetzen. Unser Schwarzwaldbrot mag er. Sein neues Roggenbrot im Kasten ist uns zu mild. Da ist er wieder, der brotkulturelle Kontrast. Und selbst diese Milde ist den Italienern oft schon zu viel. Roggen baut Daniele deshalb nur alle zwei Jahre an. Seine alte Mühle hat er umgebaut und angepasst, damit genau das Mehl herausfällt, welches er für sein Brot braucht.
Markt von Fano
Am nächsten Tag schlenderten wir über den Markt von Fano, in Sichtweite der Adria. Sabine meint, das Angebot an Lebensmittel ist zugunsten billiger Klamotten stark zurückgegangen. Ein örtlicher Bäcker war zu finden und einige Stände mit Brotangebot neben Käse und Wurstwaren. Das klassische Weißbrot der Region wird mit Hefe gelockert und ist nahezu salzfrei. Beim Bäcker allerdings fanden wir ein mit Sauerteig und Hefe gebackenes, salzhaltiges und offenporiges Weißbrot, das einen eigenen Charakter hatte. Gut.
Einkorn und Emmer bei Prometeo
Ausgestattet mit einer 17 Kilogramm schweren Wassermelone und einem neuen Sonnenhut ging es weiter zu einer deutschen Freundin und ehemaligen Arbeitskollegin von Sabine. Sie ist verheiratet mit einem Mitarbeiter von Prometeo. Er selbst bäckt regelmäßig an einem seiner beiden Holzöfen, natürlich mit Einkorn („Farro monococco“). Denn sein Arbeitgeber lässt seit Jahren schon auf den Feldern der Region Einkorn und Emmer („Farro dicocco“) biologisch anbauen, reinigt und vermahlt selbst. Unter der Marke „Il Farro“ werden Mehle und Produkte daraus weit über Italiens Grenzen hinaus verkauft. Wir besuchten das Unternehmen. Besonders spannend für uns war der Getreidegarten, in dem die gesamte „Evolution“ von Einkorn und Emmer über Dinkel bis hin zu den modernen Weizensorten am lebenden Objekt nachvollzogen werden kann.
Im Pizzabackraum von Sabines Freundin haben wir noch Bekanntschaft mit einem in der Region „Marken“ weit verbreiteten Möbelstück gemacht: die Madia. Es ist eine Art Schrank oder Truhe, in der früher Mehl aufbewahrt wurde. Öffnete man den Deckel, kam eine Arbeitsfläche zum Vorschein, auf der der Teig geknetet und geformt wurde. Die Madia sollte uns noch mehrfach andernorts begegnen.
Bei Giuditta und Agnese
Das Highlight des Tages war ohne Frage die Bäckerei „Il Gentil Verde“ von Giuditta und Agnese. Die beiden haben als Quereinsteiger (Giuditta war Radiologin im Krankenhaus) mitten im Nichts vor wenigen Jahren eine Backstube gebaut, in der das selbst angebaute Getreide zu sortenreinen Sauerteigbackwaren im Holzofen verarbeitet wird. Selbst Panettone bäckt das Frauenkollektiv im Holzofen. Der Ofen wird seitlich beheizt. Das spart das Freiräumen der Backfläche von Asche und Glut.
Männer sucht man hier oben vergebens. Giuditta sagt, sobald ein Mann im Team wäre, würden die Bauern, die für sie im Auftrag die Ernte einfahren, nur noch mit ihm sprechen. Alte Rollenvorstellungen sind hier auf dem Land, aber auch abseits von Italien in Deutschland immer noch tief in uns verankert. Die Damen von „Il Gentil Verde“ brechen sie auf – mit Freude, Elan und Ehrgeiz. Ein ganz besonderer Ort mit besonderen Frauen. Giuditta ist die Taktgeberin. Mit kräftiger Stimme und Ungeduld prescht sie voran, dabei immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Auch eine deutsche Stimme hören wir. Eva hat ihren Job als Landschaftsarchitektin in Deutschland aufgegeben und bäckt nun in Acqualagna eifrig mit. Giuditta bemängelte unser Brot. Eva müsse das essen. Ihr sei es viel zu sauer. Und tatsächlich. Das Einkornsauerteigbrot ist extrem mild und auch die zweite Kostprobe schmeckt sehr mild. Giuditta achtet penibel darauf, dass ihre Madre nicht zu sauer wird. Für unseren Gaumen dürften ihre Brote etwas mehr Säure und mehr Salz haben. Über Geschmack lässt sich eben streiten.
Bei Giovanni Larghetti
Und noch ein Holzofenbäcker wartete auf uns. Nach einer Hitzenacht sondergleichen besuchten wir Giovanni Larghetti in Frontino. Er baut seit 1981 sein eigenes Biogetreide an. Er ist der Biopionier der Region. In zwei großen Holzöfen, die rund 100 Kilogramm Brot fassen, backen er und zwei weitere Bäcker hunderte Brote und Feingebäcke pro Tag. Die meisten Supermärkte der Region führen seine Produkte. Als wir ankommen, fährt er gerade mit dem Traktor einen Bigbag Dinkel zum Getreidesilo. Gereinigt wird es bei Prometeo. Das Mahlen übernimmt er selbst. Nur Auszugsmehle kauft er zu.
Stolz zeigt Giovanni uns seine feste Madre, die er mal im Kühlschrank, mal im Wasser und mal eingebunden ins Tuch aufbewahrt, je nach Laune und Größe. Seine Brote und auch einige Feingebäcke lockert er ausnahmslos mit seinen Sauerteigen. Neben der festen führt er auch eine weiche Madre, die er „Poolish“ nennt, die aber ein Sauerteig und kein Hefevorteig ist. Das Rundwirken übernimmt inzwischen ein Kegelrundwirker. Gärkörbe sucht man hier vergebens. Die Teiglinge werden mit niedriger Teigausbeute direkt auf Brettern abgesetzt und reifen vor den Öfen oder einem Nachbarraum, der von einem der Öfen indirekt beheizt wird.
Giovanni schwört auf seien Doppelarmkneter. Trotz der vielen Arbeit der letzten Jahrzehnte und der Anstrengungen, sich auf dem Markt zu etablieren, ist er nicht verhärtet. Ganz im Gegenteil. Giovanni lächelt immerzu und strahlt aus den Augen, wenn er über seine Arbeit spricht. Begeistert war er von unserem Schwarzwaldbrot. Die Italiener hätten ja keine Ahnung von gutem Brot, meinte er. So müsse ein Brot schmecken. Mal sehen, ob er es irgendwann nachbäckt. Unsere Rezeptur jedenfalls hat er sich handschriftlich von uns notieren lassen.
Bei Adriana Cucilnelli
Zum Abschluss unserer Reise durften wir das beste Brot der vergangenen Tage essen. Gebacken, natürlich im Holzofen, hat es Adriana Cucilnelli aus Montefelcino. Eine kraftvolle Frau aus Neapel, die gemeinsam mit ihrem Mann ein ehemaliges Kloster gekauft und aufwändig restauriert hat. Sie sei für das Feine zuständig, ihr Mann für das Grobe. Eindrucksvolle Wandmalereien, edle Putze und Fliesen, alles aus ihren Händen. Auch das Brot.
Adriana hat bei Daniele Ciabattoni gelernt, Weizensauerteigbrot zu backen. Auch bei ihr steht die Supiot-Molle (und eine Madia). Das Brot ist kräftiger und säuerlicher als bei Daniele. Überhaupt hat es nicht mehr viel mit dem italienischen Weißbrot zu tun. Es ist ein dunkles Landbrot, in das wir unaufhörlich hätten hineinbeißen können. Das kommerzielle Backen hat für Adriana eben erst begonnen. Wir drücken ihr die Daumen, dass den Italienern ihr Brot genauso gut schmecken wird wie uns! Und wenn nicht, dann hat sie immer noch den Gemüsegarten in der Hinterhand, in dem himmlische Tomaten und Artischocken wachsen.
Unsere Tage in den Marken sind gezählt. Eine wundervolle Landschaft mit viel Geschichte, die touristisch nahezu unerschlossen ist. Ein Geheimtipp für alle, die das Land abseits der ausgetretenen Pfade entdecken möchten. Und gutes Brot gibt es auch.
Unterdessen haben wir gelernt, wo all die Leckereien aus Sabines Auto herkommen. Wir freuen uns auf Deine nächste Reise zur Alm, Sabine! Vielen Dank für die herrliche Woche!