Brot und Backwaren in Kyoto, Osaka und Tokyo
Reiseeindrücke und Erlebnisse aus Japan
Im Mai 2024 bin ich mit Bäckermeisterin Christina Weiß und einer Teilnehmergruppe von 12 Personen aus ganz Deutschland und der Schweiz eine Woche lang durch Kyoto, Osaka und Tokyo gereist. Wie schon 2018 und 2019 wollte ich mir die beeindruckende Brotkultur Japans ansehen, sie riechen und schmecken.
Dank der großartigen Unterstützung unserer Freundin und Dolmetscherin Tomoko Morimoto wurde die Reise auch für unsere Teilnehmer zu einem unvergesslichen Erlebnis. Wir haben mehr als 20 Bäckereien, eine regionale Mühle und einen handwerklichen Miso-Hersteller besucht. Außerdem gab es für uns einen exklusiven Brotbackkurs für Shokupan, Melonpan, Anpan und Baguette bei einem der besten japanischen Bäcker.
Der folgende Text fasst die Reiseeindrücke kurz zusammen und lässt dann hauptsächlich die Fotos sprechen. Wer sich tiefer in die Geschichte der japanischen Brotkultur und in den Brotmarkt Japans einlesen möchte, dem sei mein Artikel „Japans langer Weg zum Brot“ auf brotschau.de empfohlen.
Handwerk und Industrie
In Japan wird der größte Teil der Backwaren industriell hergestellt. Dennoch hat sich die schon 2018/2019 vorhandene Vielfalt an Handwerksbäckereien nochmal vergrößert. Gefühlt an jeder Ecke haben sich kleine Bäckereien niedergelassen, oft als Ein- oder Zwei-Personen-Betriebe. Zwar haben wir viele Bäckereien gezielt besucht, aber mindestens genauso viele Bäckereien sind uns durch Zufall im Vorbeilaufen begegnet. Das sagt noch nichts über deren Qualität aus. Dennoch ist Handwerksbrot ein großer Trend in Japan. Nach Aussage eines besuchten Bäckers haben die Japaner 2023 erstmals mehr Brot gegessen als Reis, während zuvor schon seit mindestens einem Jahrzehnt der Umsatz mit Brot über dem mit Reis lag.
Ein Grund für den großen Umsatz sind die relativ hohen Preise. Während der Reisbedarf überwiegend aus heimischer Produktion gedeckt werden kann, wird Brotgetreide (v.a. Weizen) zum Großteil importiert. Auch andere wichtige Backzutaten wie Hefe oder Butter kommt meistens aus dem Ausland und ist entsprechend teuer.
Alltäglich Brot
Brot ist im japanischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Insbesondere in den großen Städten wird morgens und mittags lieber zum Brot gegriffen, weil es als Snack schnell verfügbar ist und mit Füllungen eine komplette Mahlzeit abdeckt. Große Brotlaibe wie in Deutschland sind in Japan kaum verkaufsfähig. Dagegen lieben die Japaner Kleingebäck und Feingebäck, möglichst frisch aus dem Ofen. Die Gebäcke sind fast immer gefüllt, etwa mit der traditionellen süßen Bohnenpaste, mit Pudding, aber auch mit herzhaften Füllungen wie Currys, Würstchen, Fisch, Käse, Schinken oder verschiedenen Pasten.
Shokupan für jede Lebenslage
Das Alltagsbrot schlechthin ist das Shokupan. Schokolade sucht man darin vergebens. „Shokupan“ bedeutet frei übersetzt „Brot für jede Lebenslage“. Das Brot besteht aus Weizenmehl, Milch, Salz, Zucker, Fett und Hefe. Es hat eine besonders elastische, extrem feinporige und sehr feuchte Krume. Dadurch ist es ein ideales Sandwichbrot. Typischerweise wird die Kruste abgeschnitten. Bei den herzhaften oder süßen Füllungen zwischen zwei Scheiben Shokupan kann man schon schwach werden. Shokupan gibt es überall, aber nicht immer in guter Qualität. Da die Brote meist verpackt verkauft werden, hilft der Blick auf die Zutatenliste. Bei Bäckereifilialen, die zu Großbetrieben gehören (wie z.B. Paul, Kayser, Andersen), wird teils mit Emulgatoren, exogenen Enzymen oder Aromen gearbeitet.
Textur ist alles
Japaner lieben ein feuchtes, leicht klitschig-klebriges Mundgefühl beim Verzehr von Brot. Sie bezeichnen das als „mochi mochi“. Wie bei Fisch und Reis sollte auch die Brotkrume solch ein Gefühl vermitteln. Deshalb wird mit sehr weichen Teigen und mit Füllungen, mit enzymstarken Mehlen und Mehlkochstücken bzw. Brühstücken gearbeitet. Nicht wenige Bäcker, die wir besucht haben, erreichen für klassische Brote eine Teigausbeute jenseits der 190. In Feingebäcken wird die feuchte, leicht zähe und leicht cremige Textur der Krume durch einen hohen Zucker- und Fettanteil erreicht. Textur geht über Geschmack.
Starkes Mehl und starke Hefe
Spätestens bei unserem Backkurs in der Bäckerei Zopf ist unseren Teilnehmern klar geworden, dass die besonderen Texturen japanischer Backwaren nicht nur an bestimmten Techniken, unbekannten Zutaten oder herausragendem Wissen liegen, sondern vor allem an der guten Mehlqualität. Kaum ein Weizenmehl hat unter 12 % Protein. Insbesondere die Mehle für Shokupan, für Feinbackwaren oder Brötchen haben 13 % oder mehr Glutenanteil. Sie werden vor allem aus den USA und Kanada importiert.
Außerdem ist die Klebereiweißzusammensetzung so austariert, dass immer ein bestimmtes Mehl für eine bestimmte Gebäckart verwendet wird. Das hat uns unser Besuch bei einer Mühle vor Augen geführt, die ausschließlich japanisches Getreide vermahlt. Es gibt Croissantmehl, Shokupanmehl, Baguettemehl etc. Gleiches bei den Hefen. Die Hefevielfalt in Japan ist beeindruckend. Es gibt weit mehr als zehn verschiedene Hefeprodukte, jeweils abgestimmt auf den gewünschten Geschmack, die Reifezeit, den Zucker- und Fettanteil im Teig. Davon kann man als Hobby- wie Profibäcker in Deutschland nur träumen.
Die Rezepturen der Teige für Shokupan, Melonpan oder Anpan sind nichts Besonderes. Es gibt sie unter anderen Namen auch in Deutschland. Den Unterschied im Grad der Gebäckqualität macht die handwerkliche Perfektion der japanischen Bäcker gepaart mit der perfekt darauf abgestimmten Rohstoffqualität.
Unterwegs in Kyoto
Regionalität und Tradition
Wir haben auf unserer Reise deutlich mehr Betriebe als vor fünf Jahren gefunden, die mit japanischem Weizen und japanischer Butter (aus Hokkaido) backen. Der japanische Weizen spielt auf dem Gesamtmarkt Japans zwar kaum eine Rolle, reizt aber viele Handwerker. Außerdem arbeiten sie immer mehr an Symbiosen aus traditionellen japanischen Fermentationsmethoden und moderner Handwerksbäckerei. Das Backen mit Hefewasser aus Früchten, mit Sakadane oder Amazake, mit Koji, mit wilden Hefen von Kirschblüten oder aus Sake-Maische ist zwar noch eine Nische, aber ein spannendes Feld für die heutigen Handwerksbäckereien. In der japanischen Hobbybäckerszene ist das Thema schon breiter angekommen.
Roggen ist Mangelware
Roggen sucht man in japanischen Backwaren lange und oft vergebens. Zwar wird Roggen inzwischen vereinzelt auch in Japan angebaut, der weitaus größte Teil muss jedoch importiert werden. Es gibt einige deutsche Bäckereien in Japan, die auch Roggen verbacken. Roggen ist dann aber höchstens zu gleichen Teilen wie Weizen verbacken. Ein klassisches Roggenbrot oder Roggenmischbrot muss man lange suchen. Wir sind in einer Bäckerei fündig geworden, die von einem deutschen Bäckermeister betrieben wird. Außerdem in einer Ein-Mann-Bäckerei, in der 99 %-Roggenbrot angeboten wurde, das nur mit Hefewasser gelockert war. Der Roggen stammte aus Deutschland. In derselben Bäckerei durften wir auch ein sehr gutes Hefewasser-Weizenbrot mit 20 % Einkornmehl aus Deutschland verkosten.
Deutsches Brot zu sauer?
Interessanterweise hat uns der enzymatische Stärkeabbau auch in einer deutschen Bäckerei beschäftigt. Dort haben wir ein reines Roggensauerteigbrot gekauft. Es schmeckte sehr sauer und gleichzeitig süß, obwohl kein Malz oder Zucker zugesetzt war. Die Krume war klitschig, das Brot relativ flach. Schon für unseren Geschmack sprengte die Säure den Rahmen, für den japanischen Geschmack erst recht. Der deutsche Bäcker verwendete japanischen Roggen aus dem regenreichen Hokkaido im Norden Japans. Offenbar war der Roggen sehr enzymstark, ohne dass in der Backstube über die Veränderung der Sauerteigführung darauf reagiert werden konnte. Die Roggenamylasen setzten einen großen Teil der Stärke in Zucker um, den wir als süße Krume wahrnahmen.
Auch schon auf meinen früheren Japanreisen ist mir aufgefallen, dass als „deutsches Brot“ verkaufte Backwaren zu sauer oder zu flach sauer schmeckten. Interessanterweise waren es oft von Deutschen geführte Bäckereien. Und auch in Deutschland schmecken viele Roggenbackwaren monoton sauer. Nicht ohne Grund ist in Japan der Eindruck verbreitet, deutsches Brot sei sauer. Das Problem ist vermutlich, dass selten mit einer auf den Rohstoff angepassten Sauerteigführung gearbeitet wird. Denn gutes Roggenbrot schmeckt zwar säuerlich, aber mildsäuerlich, ausgewogen und komplex. Und diese Art von Säure mögen Japaner.
Philosophie des Wartens
Boulangerie de Melk, Osaka
Bäckerei Takagi, Osaka
Stand out Baker, Osaka
Vom Miso zum Pumpernickel
Der Besuch bei einem Miso-Hersteller hat uns die Augen dafür geöffnet, dass die Fermentationsprozesse auf dem Weg zum Miso gar nicht so weit weg sind von denen in der Brotherstellung. Im feuchtwarmen Koji-Keller werden auf gedämpftem Reis Koji-Pilze gezüchtet. Gequetscht mit gedämpften Sojabohnen und Salz entsteht die Misopaste. Sie reift dort mindestens drei Tage, kann aber auch mehr als ein Jahr fermentieren. Je länger sie reift, umso dunkler und süßer wird sie, denn die Amylasen der Koji-Pilze spalten die Reisstärke in Zucker.
Zu Gast bei einem Miso-Hersteller
Der Anblick der dunklen Misopaste hat mich an Pumpernickel erinnert. Darin spalten die mehleigenen Amylasen die Roggenstärke in Zucker – bei höherer Temperatur und deshalb in nur 16 bis 20 Stunden statt über Tage, Wochen und Monate bei Raumtemperatur. Der Rohstoff ist ein anderer, der Vorgang vergleichbar. Deutsches Brot und japanische Miso-Kultur haben eine gemeinsame Grundlage.
Fortschritt durch Freiheit
Mein Eindruck ist, dass es seit meiner Reise vor fünf Jahren nochmal einen Schub für Japans Handwerksbäckereien gegeben hat. Grenzen zwischen Hobby- und Profibäckertum existieren nach wie vor nicht. Zwar gibt es privatwirtschaftlich organisierte Bäckerfachschulen, doch darf jeder eine Bäckerei eröffnen, solange er die rechtlichen Hygienevorgaben einhält. Und das tun offenbar viele Japaner. Entsprechend vielfältig ist die Bäckereilandschaft und entsprechend offen sind auch die Türen für andere Quereinsteiger, die mitarbeiten möchten. Das Arbeitspensum ist nicht zu unterschätzen, die Bezahlung als Angestellter ist nicht besonders üppig. Viele der Angestellten der besuchten Bäckereien haben in Gesprächen angegeben, dass sie später eine eigene Bäckerei eröffnen möchten. Auch in der Jugend scheint es für den späteren Berufswunsch eine Tendenz zum Bäcker- und Konditorhandwerk zu geben (siehe oben verlinkter Beitrag in der Brotschau).
Ich bin nach dieser Reise immer noch und wieder beeindruckt von der Kreativität, der Vielfalt und der Lust am Backen in dieser von Reis geprägten Gesellschaft. Ich kann mein Fazit von 2019 wortgleich wiederholen:
„Ein Land, in dem ich die Lust auf BäckereiHANDwerk überall erleben kann – ohne Scheuklappen, ohne Vorbehalte, ohne Standesklüngel, dafür mit unbändiger Neugier, Lernbereitschaft und Offenheit. Es geht einfach nur um gutes Brot. Ein Traumland für jeden ambitionierten Bäcker.“