Auf Augenhöhe
5. Internationales Rauriser Brotfest
Ende September 2023 fand nach acht Jahren Pause das 5. Internationale Rauriser Brotfest statt. Es war nicht irgendein Brotfest, sondern ein Treffen von Profi- und Hobbybäckerinnen und -bäckern auf Augenhöhe. Und es war zugleich das letzte Brotfest, das Roswitha Huber mitorganisiert hat.
Das nächste Brotfest findet vom 18. bis 20. Mai 2024 in den Marken (Mittelitalien) statt. Mehr Infos hier.
Als ich 2013 Roswitha Huber kennenlernte, hatte ich noch nichts von ihren Brotfesten in den Hohen Tauern gehört. Zwei Jahre später war ich bereits Teil davon. Ich war kurz zuvor mit ihr nach Albanien gereist, um dort Brotbäckerinnen und Brotbäcker zu besuchen und in die Brotkultur des Landes einzutauchen. Wir trafen beeindruckende Menschen und gutes Brot. Mit einer Crowdfunding-Aktion unterstützte ich das im selben Jahr stattfindende 4. Rauriser Brotfest, damit ausreichend Geld vorhanden war, um die albanischen Bäcker nach Rauris zu holen.
Durch persönliche Umstände im Leben von Roswitha und später auch durch Corona dauerte es nun acht Jahre bis zur Fortführung der zweijährlichen Brotfesttradition. Ziel der Brotfeste war es ursprünglich, Holzofenbäcker aus aller Welt zusammenzubringen mit den Raurisern und mit Menschen, die sich für gutes Brot interessieren. Es sollte um Austausch und Kennenlernen gehen, nie um Kommerz. Ich habe das Brotfest 2015 sehr geschätzt. Ein Grund, Roswitha beim diesjährigen Fest gemeinsam mit Christina Weiß kräftig unter die Arme zu greifen.
Unser Anliegen war es, möglichst viele Brotbäcker aus aller Welt auf der Kalchkendlalm zu versammeln. Gekommen ist das Who-is-Who der „alternativen“ Bäckerszene, die auf guten Geschmack, Zeit und handwerkliches Wissen setzen. Mit dabei waren u.a. Arnd Erbel, Björn Wiese, Christa Lutum, Daniel Amrein, Ben Tugwell, Friedbert Stiefel, Günther Weber, Sarah Asseel, Denis Hüwel, Heike Meyer, Sarah Owens, Blair Marvin, Ingmar Krimmer, Jakob Itzlinger, Jesper Gøtz, Johann Kreter, Julius Brantner, Christina Weiß, Manuel Grundei, Eike Becher und Marius Hörle, Marcel Paa, Pascal Rubertus, Sebastian Däuwel, Sophie Henne, Thilo Nast, Giuditta Mercurio, Jean-Jacques Jacob, Jens Lund und Werner Kast. Viele mehr gäbe es noch zu nennen. Insgesamt hatten wir rund 80 Bäckerinnen und Bäcker als Gäste auf der Alm, neben vielen weiteren Bäckerinnen und Bäckern, die als Symposiumsgäste angemeldet waren. Ein bunter Haufen, gut durchmischt mit Hobbybäckerinnen und -bäckern, mit Brotliebhaberinnen und Brotliebhabern. Viele Helferinnen und Helfer haben uns ganz praktisch an beiden Tagen unterstützt, u.a. das Team des Backhaus Barrigsen e.V. oder das Team rund um Monika Drax.
Zwei wundervolle Tage
Das Symposium war ausverkauft. Spannende Vorträge aus Züchtung, Landwirtschaft, Müllerei und Bäckerei verband der wertschätzende Umgang mit Getreide und Brot. Während Jean-Jacques Jacob fast meditativ das Wachstum eines Getreidehalmes beschrieb und damit die Zuhörer weg von den zuvor gehörten Fakten hin zum Sinnlichen schob, sprach sich Freibäcker Arnd Erbel vehement gegen den deutschen Meisterzwang im Bäckerhandwerk aus. Mit einer spritzigen, kabarettreifen Rede begeisterte er rund 250 Symposiumsgäste. Am Abend versammelten sich die „Brotrebellen“ der gleichnamigen ARTE-Dokumentation, um gemeinsam mit dem Regisseur Thomas Riedelsheimer und der Produzentin Kornelia Theune von den Hintergründen des Projektes zu erzählen und Zuschauerfragen zu beantworten.
So viele Brotspinner (wie Roswitha uns alle liebevoll nannte) auf einem Haufen gab es wohl noch nie, und wenn, dann sehr selten in der Bäckergeschichte. Besonders lobten Bäcker wie Hobbybäcker die familiäre Atmosphäre, das Begegnen auf Augenhöhe ohne Allüren und ohne das Hervorheben des eigenen Wissens oder Könnens. Alle hatten nur ein Thema: gutes Brot und wie wir alle es in die Welt tragen können. Eingeladen war auch der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, der leider abgesagt hat. Vielleicht hätte diese Veranstaltung dazu beitragen können, die Sicht- und Handlungsweise des Verbandes bzw. der ihn tragenden Personen zumindest ein wenig zu verschieben. Diskutiert wurde darüber und zugleich bedauert, dass kein Vertreter anwesend war.
Tag der Holzbacköfen
Am zweiten Tag öffneten die Familien im Raurisertal ihre Holzbacköfen. Gemeinsam mit unseren Profibäckerinnen und -bäckern bereiteten sie Teige zu und backten Holzofenbrote. Shuttlebusse fuhren bei strahlendem Sonnenschein die einzelnen Stationen ab. Ein reges Treiben und Diskutieren prägte diesen Tag, unterbrochen nur von Knuspern und Schmatzen bei den vielen Brotverkostungen.
Christina und ich waren bei unserer befreundeten Familie Rasser im Ortszentrum Rauris am Holzofen zu Gast, gemeinsam mit den Schweizer Bäckern Daniel Amrein, Werner Kast und Manuel Grundei aus St. Wolfgang. Die Schweizer backten St. Galler-Brote und Bürlis, Manuel überraschte die Anwesenden mit einem überaus weichen Dinkel-Kartoffel-Teig und wir schoben Brotfest-Brioche in die Restwärme des Ofens.
Es gibt nicht wenige, die noch Tage nach dem Fest davon schwärmten. Wenn ich daran denke, mit welcher Leidenschaft, mit welcher Selbstverständlichkeit und mit welcher Freude sich an beiden Tagen alle ohne Vorurteile oder Konkurrenzangst begegnet sind und sich ausgetauscht haben, schießen mir immer noch Freudentränen in die Augen. Wer vor Ort war, hat aus meiner tiefsten Überzeugung heraus die Zukunft des Bäckerhandwerks gesehen.
Die Brotfest-Vorträge
zum Ansehen und Herunterladen
Nachfolgend werden alle verfügbaren Vorträge und Aufzeichnungen des Symposiums aufgelistet. Sie dürfen für den Privatgebrauch genutzt und geteilt werden.
Auf der Suche nach gutem Brot.
Wie das deutsche Bäckerhandwerk heute arbeitet.
Lutz Geißler & Christina Weiß • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
Zum Artikel Qualität im Bäckerhandwerk. Eine repräsentative Umfrage
Die weibliche Sicht auf das Bäckerhandwerk der letzten 45 Jahre.
Christa Lutum • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
Brot neu gedacht: Auf der Suche nach gutem glutenfreien Brot
Ava Kundag • PDF-Präsentation
Altbrot, Meisterzwang und Kinderspielzeug
Arnd Erbel • Video (Youtube)
Es war einmal Einkorn. Lerne den Großvater vom Dinkel kennen.
Beate und Walter Brenner • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
SlowGrow-Getreide in der Mosaik-Landwirtschaft.
Matthias Hollenstein • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
Biogetreidezüchtung – für Vielfalt auf den Äckern.
Herbert Völkle • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
La Rivoluzione del pane: i grani antichi a tutela di biodiversità e salute
(The Bread Revolution: ancient grains to protect biodiversity and health)
Giuditta Mercurio • PDF-Präsentation
Die Bedeutung des Backhandwerks für den auf agrarökologischen Prinzipien
basierenden Wandel der Land- und Lebensmittelwirtschaft.
Anke Kähler • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
The re-emerging interest in wholegrain baking as a movement in the USA.
(Das wiedererwachende Interesse am Backen mit Vollkorn in den USA.)
Sarah Owens • PDF-Präsentation
How millers, bakers and farmers have been rebuilding local grain economies around the United States in the past decade.
(Wie Müller, Bäcker und Landwirte in den letzten zehn Jahren die lokale Getreidewirtschaft in den Vereinigten Staaten wieder aufgebaut haben.)
Blair Marvin und Andrew Heyn • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
Transition from the Old World to the New World: Expectations, prejudice and real life experiences of running a baking school in America.
(Übergang von der Alten Welt in die Neue Welt: Erwartungen, Vorurteile und reale Lebenserfahrungen mit dem Betrieb einer Backschule in den USA.)
Heike Meyer • PDF-Präsentation • Video (Youtube)
Gespräch und Fragerunde
mit den „Brotrebellen“-Machern Thomas Riedelsheimer (Regisseur)
und Kornelia Theune (Idee, Produzentin) sowie den anwesenden
Brotrebellen Roswitha Huber, Arnd Erbel und Jean-Jaques Jacob
Video (Youtube) • TV-Serie Brotrebellen (Vimeo, on-demand)